Wieder mal „Neuer Politikstil”: SPD-Ausschussvorsitzender mitten in der Legislatur von Grün-Schwarz abgewählt

Die Darmstädter SPD-Fraktion stellt nicht mehr den Vorsitzenden im neuen Ausschuss für Wissenschaft und Wirtschaftsförderung. Im Vorgängerausschuss für Wirtschaftsförderung und Liegenschaften war Santi Umberti Vorsitzender, im neu konstituierten Ausschuss besetzte Grün-Schwarz den Vorsitz nun mit Peter Franz (CDU).

Der Ausschuss musste neu konstituiert worden, da Liegenschaften nun zum Bauausschuss gehört; die Dezernate waren mit dem Ausscheiden Schul- und Klinikdezernenten Dierk Molter (FDP) neu geschnitten worden waren.

Für die Sozialdemokraten kam die Abwahl überraschend, sie gingen davon aus, dass der Ausschussvorsitz bei Umberti bleibt. Die CDU sieht darin keine Abwahl, für sie ist es ein völlig neuer Ausschuss. (Naja …, etwas spitzfindig.) Und den neuen Ausschüssen habe die SPD ja zugestimmt.

Anstelle des Wirtschaftsausschussvorsitz soll die SPD nun den Vorsitz im Wahlvorbereitungsausschuss (bislang bei der CDU) erhalten – nur sind die Wahlen zur Zeit gelaufen.

Der „Neue Politikstil” wird vielleicht gegenüber den Bürgern gefahren werden, aber im Parlament und den Gremien (Wahlen im Magistrat zum HEAG-Holding Aufsichtsrat) ist der „Neue Politikstil” zur Zeit traditionelle Machtpolitik.

Dazu passt auch, wie in der aktuellen Stadtverordnetenversammlung (3.11.) für mich fast krampfhaft auf die Geschäftsordnung verwiesen wurde, um bloß nicht über einen UffbasseAntrag abzustimmen. Mit dem sollte der Magistrat aufgefordert werden, mit der Bima (Bundesimmobilienanstalt) zu sprechen, um die ihr gehörenden leeren US-Kasernen in Darmstadt für eine Übergangszeit als Wohnungen, beispielsweise für Studenten, zu nutzen. Grün-Schwarz lehnte es gegen die anderen Fraktionen schließlich ab, den Antrag auf die Tagessordnung der laufenden Sitzung zu nehmen.

Nachtrag I: Dazu auch Helmut Kletts (Uwiga) Kommentar:

Dazu gab es auch einen vor der Sitzung verteilten UWIGA-Antrag (http://www.uwiga.com/fraktion,483) – vom Uffbasse-Antrag wussten wir zu dem Zeitpunkt nichts.
Die UWIGA wollte ihren Antrag zur aktuellen Stunde (mit Dank für diese Stunde an Uffbasse) erst nach Rückfrage der Sachverhalte – da offensichtlich viele Nebelkerzen zuvor geworfen wurden – formulieren. Mein Gespräch mit der Bima (Herrn Niebelschütz) fand erst am Vorabend zur StaVo statt. Da erfuhr ich, dass dieses Angebot einer Zwischennutzung schon zu „Wenzel-Zeiten“ gemacht wurde. Wegen „atmosphärischer Störungen“ zu den Akteuren hielt er es für besser, alle Fraktionen mit einzubeziehen. Welche Gründe tatsächlich hinter all dem Gerangel stecken (seitens der Bima, wie auch der Stadt) kann ich nur vermuten. Bloße Unterstellungen seitens der Koalition gegen die Bima zu äußern ist aber weder zielführend noch ausreichend.

Schade : Irgendwie hat sich das Parlament durch diese Antrags- Abwehr-Aktion selbst entmündigt. Die 2/3-Mehrheit zur Antragsannahme wäre schlicht demokratisch anständig und erwartbar gewesen. Angesichts der Brisanz und Aktualität des Themas hätte es sogar eine parlamentarische „Sternstunde der Souveränität“ werden können. Stattdessen das Gegenteil, ein „Kuschen und Kneifen“ und hinter der GO sich verschanzen.
Liebe Koalition, es ist aber damit noch nicht ausgestanden. Der Antrag wird – jetzt fristgerecht – wieder kommen.

Nachtrag II: Uffbasse kündigt nun eine große Anfrage an:

Wir sind nach wie vor der meinung, das zumindest geprüft werden sollte, ob- und zu welchen vorraussetzungen eine vorübergehende nutzung der wohnflächen möglich ist. Nicht nur studenten, auch viele andere darmstädter bürger und welche die es werden wollen, suchen günstigen, bezahlbaren wohnraum. Es ist aufgabe der stadt, wo möglich diesen zu schaffen.

Nachtrag III: Ich bin nicht allein. Zum Kasernen für Studenten-Thema gibt es einen Echo-Kommentar:

Politik nach alter Art – (…) Ganz im alten Politikstil lehnte es die Mehrheit von Grünen und CDU ab, Anträge von Uffbasse, Uwiga und Piraten überhaupt auf die Tagesordnung zu nehmen. (…) Es gehört aber schon viel Arroganz dazu, wenn Grünen-Fraktionschefin Förster-Heldmann der Opposition vorwirft, die „Tiefe der Probleme“ nicht mal zu ahnen, Grün-Schwarz aber nicht bereit ist, diese Tiefen auszuloten (…)

US-Gelände wird frei – und Darmstadt größer

Eingang der Cambrai-Fritsch-Kaserne.

Darmstadt wird größer. Und das ohne, dem Landkreis etwas wegzunehmen. Ab September werden der Stadt die Kasernen und Siedlungen der Amerikaner zur Verfügung stehen. Die US-Armee hatte vergangenes Jahr – etwas überraschend – beschlossen abzuziehen.

Die Wohngebiete Jefferson-, Lincoln- und St. Barbara Siedlung haben zusammen rund 36,1 Hektar. Die Kasernen Kelly-Barracks, Nathan-Hale-Depot und Cambrai-Fritsch-Kaserne umfassen insgesamt 85,6 Hektar. Bis Ende 2008 werden die Flächen zum größten Teil geräumt sein. Die Konversionsflächen werden allerdings nicht der Stadt, sondern der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) übergeben werden.

In ihren Antworten auf eine große Anfrage der CDU-Fraktion im Stadtparlament legt die Stadt dar, dass sie plane den überwiegenden Teil der Konversionsflächen für Wohnungsbau zu nutzen. Dies betreffe die Wohngebiete und die Cambrai-Fritsch-Kaserne. Für die Kelly-Barracks und das Nathan-Hale-Depot ist eine gewerbliche Nutzung vorgesehen.
Wie eine Wohnbebauung für eine ehemalige Kaserne aussehen könnte, zeigt Mainz.

Dort wurde ab 2004 ein ehemaliges Panzerwerk zum Wohngebiet Gonsbachterrassen. Auf rund 36 Hektar entstehen rund 620 Wohneinheiten. Gutachter stellten fest, dass bestimmte Anteile an Reihenhäusern (20%), Einzelhäusern (60%) und Geschosswohnungen (20%) den Bedarf und die Ansprüche der Stadt an das Wohngebiet decken würden. Man wollte jungen Familien ein Wohngebiet anbieten, damit sie nicht aus Preisgründen ins Umland ziehen, erklärte der Mainzer Bürgermeister Norbert Schüler auf einer CDU-Veranstaltung Enden Februar im Jahn-Saal der Comedy Hall. Damit nicht jeder baut wie es ihm gefällt, gibt es zusätzlich zum Bebauungsplan einen Städtebaulichen Vertrag, der Vorgaben für Dächer oder Zäune aufstellt. Nur wer sich mit seinen Plänen nach diesen Vorgaben orientiert, dem wird ein Grundstück verkauft. Da das Gelände den Mainzer Stadtwerken gehört, hat die Stadt letztendlich die Kontrolle.

Folgt man Günther Ingenthron, Leiter des Mainzer Stadtplanungsamtes, benötige die Stadt für das Konzept Städtebaulicher Vertrag, einen Eigentümer, der die gleichen Ziele wie die Stadt hat. In Mainz habe man deswegen bewusst nicht an einen Bauträger verkauft.

In Darmstadt hat die Stadt Satzungen über ein besonderes Vorkaufsrecht erlassen. Weiterhin wurden Aufstellungsbeschlüsse für Bebauungspläne gefasst und die Wohngebiete wurden im Flächennutzungsplan als Wohnbauflächen ausgewiesen. Die Stadt will voraussichtlich die Flächen jedoch nicht kaufen.

Den städtebaulichen Entwurf für das ehemalige Mainzer Panzerwerk machte das Darmstädter Büro „Planquadrat“ der Architekten Elfers, Geskes und Krämer. Herbert Elfers sieht das Gelände der Cambrai-Fritsch Kaserne zwischen Bessungen und Ebertstadt ähnlich hochwertig wie die Mainzer Gonsbachterrassen. Möglicherweise sei es durch die Lage am Wald sogar besser, schätzt er vorsichtig. Elfers warnte davor, die Konversionsflächen ohne weiteres zu vergleichen. Der Ernst-Ludwig-Park habe wegen seiner Lage andere Entwicklungsmöglichkeiten gehabt, als sie die anderen Konversionsflächen hätten.

Oberbürgermeister Walter Hoffmann kündigte auf einer Bürgerversammlung in Eberstadt an, ein Drittel der Konversionsflächen für Gewerbe einzuplanen und den zwei Drittel für Wohnbebauung. „Wir bekommen einen große Chance“, sagte er, denn Darmstadt sei im Norden durch die Flughafen-Lärmkeulen in seinen Siedlungen eingeschränkt und im Westen verlaufe die Autobahn.

Ziel müsse es daher sein preiswerte Wohnungen für Familien zu schaffen, erklärte Hoffmann. Sowie Wohnungen für das mittlere und höhere Management Darmstädter Unternehmen. Mit höheren Steuereinnahmen habe das aber nichts zu tun, erklärter der OB. Diese Gruppe hier zum Wohnen zu bringen sei Standortvorsorge, erklärte Hoffmann. „Wenn man hier nicht wohnt, hat man keine Bindung zur Stadt.“ Einen Beleg für diese These liefert der Umzug der Frankfurter Börse nach Eschborn. Dem vernehmen nach wohnt keiner der Top-Manager in Frankfurt.

(Erschienen im März 2008 in „Die lokale Zeitung“)