Norbert Walter †

Der am 31. August mit 67 Jahren verstorbene Norbert Walter, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, war im Januar 2012 auf dem Neujahrsempfang der Darmstädter FDP; über den ich berichtete.

Das Jahr werde für die Freien Demokraten ein Jahr der Bewährung sein, sagte der Festredner. Die Hoffnung, Steuersenkungen durchzuführen aber werden sich nicht verwirklichen lassen, räumte er ein. Das war 1962. Ganz so anderes waren die Zeiten vor 50 Jahren also nicht, als beim ersten Neujahrsempfang der FDP-Darmstadt Wolfgang Mischnick, damals FDP-Bundesminister für Vertriebene, im Hotel Knauf (heute Hotel Prinz Heinrich) die Festrede hielt.

Der Darmstädter FDP-Vorsitzende Leif Blum blickte vor den 200 Gästen auf Darmstadts Straßen, Schienen und Bach. „Unternehmen folgen der Infrastruktur“, erinnerte er. Anstelle eines ICE-Anschlusses warb er für eine Schnellanbindung Darmstadts an den Flughafenbahnhof und nach Wiesbaden. „Wir werden keine konsensfähig direkte Trassenführung durch Darmstadt finden.“ Den Verzicht auf die Nordostumgehung ohne Alternativen nannte er „unverantwortlich“. Dass man den Darmbach nach 400 Jahren ausgräbt, damit die Stadt Abwassergebühren spart, sah er als „Nullsummenspiel, da dann die Bürger diese bezahlten.

Festredner Norbert Walter (67), von 1990 bis 2009 Chefvolkswirt der Deutschen Bank, sieht zur Zeit ein „gigantisches politisches Chaos“, das sich in die reiche Welt verlagert habe. Er blickte auf die Eurokrise („eine angelsächsische Sichtweise“) und wies auf Absurditäten der Ratings hin. Das Saarland, Bremen und Berlin seien genau so pleite wie Griechenland und wirtschaftlich bedeutender. Oder obwohl Japan mehr Schulden (250 Prozent des Bruttoinlandprodukts, BIP) habe als Griechenland (150 Prozent) müsse es deutlich weniger Zinsen zahlen. „Und ich bin verblüfft über die Einschätzung Deutschlands.“ Rechne man Pensionen und Renten aus dem öffentlichen Dienst dazu, käme man von 80 Prozent auf 220 Prozent des BIP, verwies er auf Berechnungen des Volkswirts und Privatrentenlobbyisten Bernd Raffelhüschen.

Der Volkswirt warb für „konditionierte Solidarität“ mit Griechenland und für Eurobonds. Über seinen ehemaliger Arbeitgeber Deutsche Bank wird berichtet, dass sie 2011 Griechenlandanleihen im Werte von 1,6 Milliarden Euro hielt. Für die Europäische Union wünschte Walter sich eine politische Union, die sich an der Struktur des Schweizer Bundesstaates orientiert.

Der FDP wünschte der Volkswirt „ein tapferes Herz für ein schweres Jahr“. Woraufhin ihm Ruth Wagner (71), Ehrenvorsitzende des Hessischen FDP, versicherte, dass Tapferkeit gelobt werden müsse, wenn man der FDP beitrete. Ruth Wagner erinnerte an den FDP-Neujahrsempfang vom 6. Januar 1962, der in Darmstadt der erste parteipolitische dieser Art war. Damals nannte man ihn noch Dreikönigstreffen, um an das Dreikönigstreffen der baden-württembergischen FDP anzuknüpfen; und das Dreikönigstreffen der Deutschen Fortschrittspartei 1866, einer liberalen 1861 in Preußen gegründeten liberalen Partei.

Der vom Harfenist und Oberstufenschüler Guillaume Perdix musikalisch begleitete Neujahrsempfang endete mit einer kleinen Signierstunde Walters, während dieser seine Bücher verkaufte.

Totgesagte leben länger – Was für Rote gilt, gilt auch für Schwarze

Wie war das noch nach der Bundestagswahl 2009? Die politischen Kommentatoren beschieden der SPD eine lange Zeit in der Opposition und den Untergang. Und jetzt?

sueddeutsche.de: Die Koalition regiert so mies, dass eine kürzlich noch schwer vorstellbare Situation eingetreten ist: Die SPD hat wirklich die Chance, 2013 den Kanzler zu stellen

Na sowas. Aber hatte ich nicht im November 2009 schon gesagt, Totgesagte leben länger?

Gilt natürlich jetzt auch andersherum. Helmut Kohl stand jedes Mal Mitte der Legislaturperiode so schlecht da, dass man ihn bei der kommenden Bundestagswahl abschrieb. Zu recht, denn er war ja nur 16 Jahre Kanzler.

Da hat die Rundschau also alles richtig gemacht

Im Hessischen Landtag kritisierten gestern die Regierung und die sie tragenden Fraktionen die Wolski– und Steuerfahnderberichterstattung der Frankfurter Rundschau.

Na prima. Denn: Lobt einen die Regierung für einen Artikel ist das zwar auch irgendwie schön, aber bei mir kommt dann immer der Verdacht hoch, dass ich was übersehen habe. Aber wenn sich Regierungspolitiker so mit der Presse beschäftigen, wie der Artikel vermittelt, dann hat man – aus seinem Selbstverständnis als Verfassungsorgan – erstmal alles richtig gemacht.

Totgesagte leben länger

Bei der aktuellen Debatte über die Lage der SPD nach der Bundestagswahl, fallen mir die Leichenreden zur CDU nach der Bundestagswahl 1998 ein. Keiner hätte 1998 auf die Union noch einen Blumentopf gewettet. Und im Dezember 1998 traute der Spiegel Roland Koch keinen Sieg in Hessen zu:

Koch steckt tief im Elend der Christdemokraten, die seit dem Desaster der Bundestagswahl durch die politische Landschaft irren wie Flüchtlinge durch ein Trümmerfeld. „Ein Sturm ging über das Land“, kommentiert er die Abwahl der Union im Bund. Wie die Sturmschäden zu beseitigen sind, weiß der hessische Hoffnungsträger so wenig zu sagen wie seine Altvorderen in Bonn, von Wolfgang Schäuble bis Norbert Blüm.

Wie wir wissen, kam es anders. Koch gewann im Februar 1999 mit der FDP die Landtagswahl und ist seitdem Hessischer Ministerpräsident.

Warum ist egal, denn die Schwarzmalerei zu Lasten der Union wurde eindrücklich widerlegt. Und genauso kann der SPD etwas ähnliches wie Kochs Kampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft (andere sagen, zu viel Unterrichtsausfall in den Schulen sei Hans Eichel zum Verhängnis geworden) zu einer Wende verhelfen. Weiß keiner.

Erfahrene Propheten warten eben den Gang der Ereignisse ab.

Hartz IV ist kein Mindestlohn

Gestern sagte Wolfgang Gerhardt, Hessischer FDP-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, beim Streitgespräch im HR, dass Hartz IV einem Mindestlohn von etwa 9 bis 10 Euro entspreche und daher wie ein Mindestlohn wirke. Daher wären diese nicht notwendig und im Schluss daraus das „Aufstocken“ – wenn man trotz Arbeit zu wenig verdient, gibt’s einen staatlichen Zuschuss bis zur ALG II-Grenze – eine ausreichende Lösung.

Nun, das mag rechnerisch richtig sein, ist aber dennoch falsch. Wer Hartz IV bezieht, bekommt vom Staat Geld, Warmmiete, Auflagen und Einschränkungen. Also auch Restriktionen, die man als normaler Arbeitnehmer nicht hat.

Da darf das Auto nicht zu groß, das Ersparte (auch für die Rente) nicht zu hoch sein. Beispielsweise kann man auch nicht einfach umziehen oder eine große Wohnung haben. Leuten im Osten wurde ein Zimmer in der Wohnung verschlossen. Auch mit anderen zusammen zu wohnen ist heikel, weil man plötzlich Bedarfsgemeinschaft sein könnte.

Und die eigenen Kinder können bei einem Schüler- oder Ferienjob nach 100 Euro Verdienst den Hammer fallen lassen, weil ab jedem Euro darüber 80 Prozent davon abgezogen werden. Nebenbei: Wie das zur Eigeninitiative motivieren soll, ist mir schleierhaft.

Auch mit Geschenken bekommen ist es Essig, weil die nämlich maximal 50 Euro im Jahr wert sein dürfen. Also auch nichts mit Waschmaschine vom Nachbarn übernehmen oder von der Oma einen Zwanziger zugesteckt bekommen.

Bei E-Bay oder auf Flohmärkten was verkaufen wird schwierig, weil das ja plötzlich Einnahmen sind. Dass man seinen Hausrat kanibalisiert und vielleicht seine Lieblingsmusik verscheuert, ist dem Amt egal.

Inwieweit Mindestlöhne volkswirtschaftlich funktionieren kann man diskutieren, aber Hartz IV ist kein Mindestlohn, denn dieser beschneidet nicht die Freiheiten der Bürger.

„Einer demokratischen Partei unwürdig“

Am Freitag war ich auf einer FDP-Veranstaltung:

Der Darmstädter FDP-Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Leif Blum kritisierte unter Applaus den Umgang der SPD mit ihren vier Landtagsabgeordneten. „Wir müssen auch den Menschen sagen, dass das, was wir in der SPD erlebt haben, einer demokratischen Partei unwürdig ist.“

Ich hatte mich in dem Moment gefragt, wie die Stimmung in dieser Versammlung gewesen wäre, wenn Leif Blum zuvor verkündet hätte er und zwei Fraktionskollegen wählten nun Andrea Ypsilanti. Und man nicht locker über die SPD hätte reden können.

Ich persönlich meine auch, dass man besonders mit direkt gewählten Abgeordneten so nicht umgehen kann. Bei Mandatsträgern, die über die Liste gekommen sind, sehe ich persönlich das etwas anders (die Verfassung macht da keinen Unterschied, schon klar).