Helmut Kohl

Das Ende der Ära Kohl war in den achtziger und neunziger Jahren eine Art Spiegel-Serie.


Ich muss ja zugaben, dass ich Helmut Kohl immer unterschätzt hatte. Was natürlich auch daran lag, dass „Der Spiegel“ regelmäßig sein Ende als Kanzler herbeischrieb. Dass das Hamburger Nachrichtenmagazin damit nur einmal richtig lag, führte bei mir dazu, dass ich auf politische Prognosen inzwischen wenig gebe.

Helmut Kohl, über den es zig Witze ob seiner Naivität gab, konnte mit seiner tumben Art bei mir keinen Stich machen, aber was mir auffiel: Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer – und dannach gab es keine Helmut Kohl-Witze mehr.

Den letzten, den eine Kommilitonin (ein blöden Wort) erzählt hatte war: Stromausfall in der Bundeshauptstadt Bonn, alle kommen zu spät zur Kabinettssitzung, alle haben eine Erklärung. Genscher steckte im Aufzug fest, Norbert Blüm kam nicht durchs Verkehrchaos – und Helmut Kohl hing im Kaufhaus auf der Rolltreppe fest.

Heute vor 27 Jahren: 1989 war das Ende für Kanzler Helmut Kohl gekommen

„Helmut Kohl kann sich seiner Partei und seiner Fraktion nicht mehr sicher sein. Nach den Wahlniederlagen in Berlin und Hessen geht das Wort vom „großen Befreiungsschlag“ um. Die Hoffnungen der Christenunion ruhen auf Lothar Späth. Doch der baden- württembergische Ministerpräsident ziert sich. Er will gerufen werden.“

Schrieb der Spiegel vom 20. März 1989 – und am Ende hatte der Spiegel natürlich recht. Lothar Späth blieb 12 Jahre im Amt – als Vorstand der Jenoptik von 1991 bis 2003. Der laufend niedergeschriebene Helmut Kohl blieb noch 9 Jahre Kanzler bis 1998.

Und deswegen neige ich eigentlich dazu, einfach das Ergebnis einer Wahl abzuwarten. Denn irgendwas ist ja immer und Totgesagte leben länger.

Und dass der Spiegel laufend solche Artikel über Kohl brachte und x-mal daneben lag, mag auch einer der Gründe sein, warum ich den Spiegel seit x Jahren kaum noch kaufe.

Totgesagte leben länger – Was für Rote gilt, gilt auch für Schwarze

Wie war das noch nach der Bundestagswahl 2009? Die politischen Kommentatoren beschieden der SPD eine lange Zeit in der Opposition und den Untergang. Und jetzt?

sueddeutsche.de: Die Koalition regiert so mies, dass eine kürzlich noch schwer vorstellbare Situation eingetreten ist: Die SPD hat wirklich die Chance, 2013 den Kanzler zu stellen

Na sowas. Aber hatte ich nicht im November 2009 schon gesagt, Totgesagte leben länger?

Gilt natürlich jetzt auch andersherum. Helmut Kohl stand jedes Mal Mitte der Legislaturperiode so schlecht da, dass man ihn bei der kommenden Bundestagswahl abschrieb. Zu recht, denn er war ja nur 16 Jahre Kanzler.

9. November

Ein junges Blog gibt Gelegenheit an Jahrestagen in seinen Erinnerungen zu schwelgen. Am 9. November 1989 war ein Donnerstag und ich war beim Spieltreff. Als ich nach Hause kam, erzählte mir mein Vater, dass „die Mauer“ offen sei. Und im Fernsehen sahen wir die Menschen auf der Krone des Berliner Bauwerks stehen. Was das bedeutet, war damals noch nicht klar.

Bis zu dem Tag stand die Helmut Kohl-Regierung schlecht da: Die Umfragen waren im im Keller. Kohl hatte einen schlecht vorbereiteten „Putschversuch“ seiner CDU-Partei“freunde“ auf dem Parteitag am 11. September 1989 gerade überstanden. Und die zahlreichen Kohl-Witze dokumentierten, dass der Kanzler eher Fettnäpfchen entgegen schritt als Erfolgen. Aber nach dem 9. November waren von einem auf den anderen Tag die Kohl-Witze ausgestorben. Der letzte in meiner Erinnerung war der mit „Kohl auf der Rolltreppe im Kaufhaus während eines Stromausfalls.“ (Den erzählte T.T. auf dem Weg zum Chemie-Hörsaal auf der Lichtwiese.)

Mit dem Fall der Mauer wurde mein Gemeinschaftskunde-Abitur vom gleichen Jahr plötzlich überprüfbar. Denn eine Frage war: „Rechnen Sie mit der Wiedervereinigung und in welchen Zeitraum?“ Na, da hatte ich damals locker mit weiteren 30 Jahren deutscher Teilung gerechnet. Und wenn die Wiedervereinigung kommt, dann sah ich das mit einer guten wirtschaftlichen Perspektive verbunden, denn dann gäbe es im Osten neue Märkte und die dortige Industrie bekäme die neuesten Maschinen.

Dass damit auch gleich der Warschauer Pakt, der COMECON und die Sowjetunion zerbröselt, hatte ich nicht vorhergesehen. Überhaupt hatte ich – und viele andere – die Lage in der DDR falsch eingeschätzt. Aber im April 1989, als wir das Abi schrieben, war die Situation auch noch nicht so brisant für die SED. Im Mai hatte die DDR-Führung die Kommunalwahlergebnisse wie üblich optimiert aber diesmal damit einige Empörung in der Bevolkerung ausgelöst. Die existenzgefährdende DDR-Erosion begann in meiner Erinnerung aber erst am 19. August. An dem Tag fand an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn das „Paneuropäische Picknick“ statt. Und im Vorfeld zu diesem Tag hatte Ungarn seine Grenzbefestigungsanlagen abgebaut. Zirka 600 DDR-Bürger nutzten das Picknick zur Flucht nach Österreich. Und dann kamen die Flüchtlinge in der Prager Botschaft, die Montagsdemonstrationen und die ganze bekannte Geschichte.

Naja, bekannt ist relativ. Ein Gespräch mit einer Kommilitonin (ein blödes Wort) 1993 überrasche mich dann doch, denn sie hatte damals schon vergessen, dass die Mauer am 9. November ’89 gefallen war.