Der Bundeskanzler sitzt fest im Sattel

Im Moment sitzt Bundeskanzler Olaf Scholz fest im Sattel. Nicht weil er so gut, mächtig oder beliebt ist, sondern wegen der Umstände.

Für ein konstruktives Misstrauensvotum gibt es keine Mehrheit. Keiner will mit der AfD zusammenarbeiten. Die Grünen würden vielleicht noch mit der Union koalieren (was aber Markus Söder nicht will), jedoch im Moment bestimmt nicht mit der FDP. Damit gibt es auch kein Jamaika.

Und auch SPD-intern kann Olaf Scholz im Moment nicht gegen einen Kanzler Boris Pistorius ausgetauscht werden. Auch Boris Pistorius müsste vom aktuellen Bundestag gewählt werden. Nur wird keine Fraktion der SPD helfen, einen neuen Kanzler zu wählen, der dann auch noch mit Amtsbonus in die Bundestagswahl geht.

Was es übrigens auch der SPD nicht leichter macht, Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten zu machen. Denn Olaf Scholz bleibt Kanzler, wäre aber noch mehr Lame Duck. Das könnte die SPD vom Kanzlerkandidatenwechsel abhalten.

Verzögerte Vertrauensfrage – Olaf Scholz nutzt eine einmalige Lage aus

Bundeskanzler Olaf Scholz nutzt mit dem Verzögern der Vertrauensfrage etwas aus, was es noch nie gab: Ein konstruktives Misstrauensvotum gegen die rot-grüne Minderheitsregierung geht nur mit der AfD. Ich glaube aber nicht, dass Friedrich Merz diese Kooperation wagt.

Ja, Schwarz-Grün-Gelb, also Jamaika, ginge auch, aber das hat der Meisterstratege und wegen seiner Grünenfeindlichkeit bekannte Markus Söder aus Bayern ja inzwischen verbaut.

Ich glaube auch nicht, dass die Grünen im Moment nochmal mit der FDP koalieren wollen. Und die Union eigentlich auch nicht – wenn sie sich an die holprige Koalition zwischen 2009 und 2013 erinnert.

Bleibt also abzuwarten, wie sich die Stimmung entwickelt und ob Olaf Scholz dann doch vor Mitte Januar die Vertrauensfrage stellt.

Nebenbei: „Sofort“ Neuwahlen geht alleine schon deswegen nicht, weil die Parteien noch ihre Listen- und Direktkandidaten aufstellen müssen können. Und auch für diese Parteitage gibt es Fristen, die einzuhalten sind. Und ich weiß nicht, ob dann eine Wahl zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige wirklich gewollt ist.

Nachtrag: Olaf Scholz‘ Vorhaben, die Vertrauensfrage erst im Januar zu stellen, kann natürlich auch dazu führen, dass die SPD Sympathiepunkte verliert. Das kann aber bei jedem politischen Manöver passieren. Und ich habe manchmal das Gefühl, dass diese Unsicherheit das ist, was den Reiz der Politik ausmacht.

Und wieder eine Partei, die der SPD Stimmen wegnehmen wird

2016 fragte ich – eher im Spaß – warum die SPD so scharf drauf ist, wieder den Kanzler zu stellen? Schließlich war nach jeder Abwahl eines SPD-Kanzlers eine neue Partei auf den Plan gekommen und nahm der SPD Stimmen weg. In den 80ern waren es die Grünen, nach 2005 war es die Linkspartei.

Bislang hatte mein Spruch den Fehler, dass es die AfD schon seit 2013 gibt. Aber nun haben wir ja seit gestern das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, in dem unter anderem der ehemalige Düsseldorfer SPD-OB Thomas Geisel dabei ist. Herr Geisel ist übrigens der, der Baudezernentin Cornelia Zuschke aus Darmstadt abgeworben hatte.

Koalitionswechsel in Hessen. Endlich wieder ein guter Redner bei der Opposition?

Ich hatte bei der hessischen Landtagswahl am 8. Oktober ja keine großen Veränderungen erwartet und mehr oder weniger auch Recht bekommen. Das Ergebnis war so, dass CDU und Grüne weiter zusammen regieren konnten. Aber ich hatte vergessen, dass es mit Boris Rhein (CDU) einen neuen Ministerpräsidenten gibt und der erklärte nach der Wahl, mit Grünen und SPD zu sprechen.

Nun will die CDU nach Verhandlungen mit SPD und Grünen nun mit der SPD koalieren. Was jetzt natürlich noch genauer besprochen werden muss. (Ja, ich finde dieses Wort „Sondierungen“ nicht für korrekt. Natürlich sind diese ersten Gespräche auch schon Koalitionsverhandlungen, die Parteien wollen sie nur nicht so nennen.)

Echo online: Boris Rhein will in Hessen mit der SPD regieren

Ich muss zugeben, ich bin überrascht. Denn – wie schon oft von mir gesagt – die Grünen waren ja kein schwieriger Partner für die CDU. Die waren in meiner Wahrnehmung so unsichtbar in der Koalition, dass das auch eine CDU-Alleinregierung hätte sein können. Aus meiner Sicht gibt es nur ein Grünen-Projekt aus dieser Zeit und das ist der Radschnellweg Frankfurt-Darmstadt (Baubeginn 2018, rund 8 von 30 Kilometern sind fertig).

Aber ansonsten waren die Grünen der CDU in Hessen doch sehr entgegenegekommen: Sie hatte sich bei der Einrichtung eines NSU-Untersuchungsausschusses enthalten> und waren mit der Union für eine lange Verschlusszeit der NSU-Akten, agierten unglücklich beim Ausbau der Autobahn 49 mit den Abholzungen im Dannenröder Forst, eierten herum bei der Ableitung von Abwässern aus der Kali-Produktion, können den Flughafenausbau nicht verhindern und weihen zusammen mit dem damaligen CSU-Bundesverkehrsminister eine Umgehungsstraße ein.

Lange ging dieser Kuschelkurs ja gut, sogar so gut, dass die Grünen nach den ersten fünf Jahren mit der CDU bei der Landtagswahl 2018 Prozente dazugewannen (2018: 19,8%, +8,7%). Und sogar erstmals – und gleich fünf – Direktmandate gewannen, unter anderem hier in Darmstadt. (Und das ohne, dass Fluglärm ein Wahlkampfthema war – fand ich nämlich all die Jahre vorher interessant: DIe Grünen waren als einzige Partei gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens, aber in den Wahlkreisen um den Flughafen herum holten CDU und SPD die Direktmandante.)

So dass sie – meine Vermutung – glaubten, dass sie einfach so weitermachen und dadurch bei der Wahl 2023 quasi im Schlafwagen in die Wiesbadener Staatskanzlei fahren können. Ok, es kam anders.

So gesehen fühlt es sich natürlich ziemlich unfair an, nach dieser Nibelungetreue bis zur Selbstaufgabe, von der CDU ausgebootet zu werden. Und ich bin mir nicht sicher, ob es für Boris Rhein mit der SPD so einfach wie mit den Grünen geht – gerade weil die Genossen doch auch das beobachtet haben, was mir ebenfalls aufgefallen ist.

Ein Gutes könnte die Sache haben: Wenn Tarek Al-Wazir (Grüne) nach seiner Zeit als hessischer Wirtschaftsminister im Landtag bleibt, haben wir endlich wieder einen guten scharfzüngigen Oppositionsredner.

Nachtrag, 14.11.2023: Es gibt ein Interview mit Tarek Al-Wazir in der Frankfurter Rundschau. Kurzfassung: ‚Ich bin viel schöner und klüger als die blöde Nancy, aber der Boris steht ja auf billig. Ich habe den ja eigentlich nie gemocht.‘

Die dünne Haut von Grün-Schwarz-Violett in Darmstadt

Dass die Darmstädter Koalitionsfraktionen Grüne, CDU und Volt die ersten 100 Tage des SPD-OB kritisieren, ist für mich eigentlich keine Meldung. So wie die Koalition nach der OB-Wahl – deren Ergebnis ihr ja nicht passt – reagierte, ist das kein Wunder. (Hier im Blog: Operation Strippen ziehen und Zement anrühren). Eigentlich wäre Lob eine Meldung wert, das jetzt ist „Hund beißt Mann“.

(€) Echo online: Koalition übt harsche Kritik an Darmstadts Oberbürgermeister

Aber eine Sache in der Koalitionsbilanz fällt dann doch auf. Grüne, CDU und Volt lassen sich in der 100-Tage-Abrechnung auf einen Sachverhalt ein, die aus deren Sicht doch eine Kleinigkeit und nur ein Missverständnis war.

Und so holt die Koalition tatsächlich eine bizarre Story wieder aus dem Sommerloch raus:

„Den Konflikt mit der Postsiedlung haben, nachdem Missverständnisse eskaliert waren, Barbara Akdeniz und Michael Kolmer entsprechend ihrer Zuständigkeiten in Eigenregie beigelegt.“

Ernsthaft? Doch so dünnhäutig? War das doch so wichtig, dass man alle wieder daran erinnern muss, wie ein Amt über Ziel hinausschoss und wie verbohrt und (angeblich nachtragend) Verwaltung sein kann? Kurz: Da ging es um einen Grünfläche, die plötzlich ein wichtiges „Trittsteinbiotop“ geworden war, weswegen ein Verein, der seit Jahren gut mit der Stadt zusammenarbeitet, der aber auch Kommunikation kann, ein Fest absagte. (postsiedlung.de: Tageszeitungen Echo und Rundschau berichten über Einigung im Wiesen-Streit)

Unterschätzt

Da hatte ich die SPD vor drei Jahren und dann nochmal vor einem Jahr deutlich unterschätzt. Vor drei Jahren hatte ich launig überlegt, dass es 2021 keine Groko mehr geben wird, weil die SPD unter 5 Prozent kommt. Und 2020 hatte ich die Kür von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten für unpassend gehalten, weil die SPD mitten in der Pandemie zum Wahlkampf überging.

Dabei weiß ich es ja besser. In der Politik gilt: „Irgendwas ist ja immer.“ Was soviel bedeutet, dass man im Rückblick natürlich alles schlüssig erklären kann. Aber eben nicht vorhersehen. Denn es gilt auch „Der beste Plan hält nur bis zum ersten Feindkontakt.“

Die Darmstädter SPD und Ortsbeiräte

Die Darmstädter SPD hätte gerne Ortsbeiräte. In einer Pressemitteilung nennt sie drei Beispiele, wo es mit Ortsbeiräten aus ihrer Sicht besser gelaufen wäre (Klinikumskonversion in Eberstadt, Aldi in Arheilgen und Wohnungsbau in der Waldkolonie).

Tja, ich erinnere mich noch wie die Uwiga Ortsbeiräte wollte und die SPD dagegen war. Das war allerdings 2010 und da hatten die Sozialdemokraten noch mitregiert. 2014 kam das Thema nochmal, da war die Oppositionspartei SPD für Ortsbeiräte. Die Koalition aus Grünen und CDU richtete dann ab 2011 Bürgerforen als Beteiligungsinstrument ein.

Klar, bei der Kommunalwahl gewählte Ortsbeiräte sind für die Opposition reizvoll, denn sie können helfen, gegen das Stadtparlament zu wirken, wo man ja nichts zu melden hat. Sieht halt besser aus, wenn man auf den Ortsbeirat verweisen kann, das sind eben auch gewählte Vertreter. Auch wenn die nichts zu sagen haben, denn das letzte Wort hat immer das Stadtparlament.

Ich sage, ja, Ortsbeiräte kann man machen, ich halte sie aber nur dann für sinnvoll, wenn sie auch über ein Budget verfügen, mit dem sie zum Beispiel Gutachten bestellen, Haltestellenhäuschen sanieren oder Bänke aufstellen können. Ortsbeiräte, die von der Stadtverordnetenversammlung ignoriert werden können, halte ich für nicht sinnvoll.

Kunst lenkt ab – Kommt die Darmstadtia-Statue jetzt in den Keller?

Die Darmstadtia-Figur vor Sichtbeton im Darmstadtium

Die Darmstadtia-Figur aus dem Jahr 1864 steht inzwischen im Darmstadtium.


Grüne und CDU in Darmstadt lehnen den SPD-Vorschlag ab, Kunst im Kongresszentrum Darmstadtium, das zur Zeit ja Impfzentrum ist, auszustellen. „Das Impfzentrum fordert von allen Beteiligten – dem medizinischen Personal, aber auch den zu impfenden Personen – ein hohes Maß an Konzentration. Die Abläufe sind einstudiert, Ablenkung wird zur Fehlerquelle“, erklären Nicole Frölich und Yücel Akdeniz (beide Grüne) sowie Roland Desch und Alexander Schleith (beide CDU) in einer Pressemitteilung. „Der Vorschlag des SPD-Kollegen im Impfzentrum Kunst auszustellen erscheint daher aus unserer Sicht absurd.“

Tja, dann werden jetzt wohl auch das Segel über der alten Stadtmauer, das Raketenmodell der Ariane und die Statue der Darmstadtia (die auch noch eng anliegende Kleidung trägt) wohl auch abgebaut oder im Keller verschwinden müssen. Und die Calla, ein wassersammelnder Glastrichter und Teil des Dachs, sollte vielleicht auch besser verhängt werden, bevor einer deswegen zu lange nach oben starrt und sich nicht wieder konzentrieren kann.

Vielleicht sollte man auch überlegen, ob das Darmstadtium das richtige Gebäude für ein Impfzentrum ist? Lenkt die moderne Architektur des Bauwerks, das ja auch gerne mal „Schepp Schachtel“ genannt wird, dann nicht auch ab? Was ist mit diesen seltsamen Namen für die Räume? Helium, Palladium und Xenon sind doch Elemente, wer außer Kernphysikern, Chemikern ujnd Biologen kann sich die denn merken?

Und Kliniken sollten auch ganz schnell überlegen, was sie da tun, zum Beispiel das Projekt „Kunst in der Klinik“ im Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krozingen oder Kunst und Kultur im Uni-Klinikum Tübingen. Und das Impfzentrum in Straubing (CSU-OB, CSU-Freie Wähler-Koalition) sollte auch lieber zurückrudern, wenn ich der Süddeutschen Zeitung glauben darf: Künstler verlegen Ausstellung ins Impfzentrum

Schattenwürfe auf Säulen im Darmstadtium.

„Corona“ ist anscheinend vorbei

Hurra, die Sache mit der Coronavirus-Pandemie ist gelöst, wir haben die Lage im Griff. Nächsten Monat ist wieder Business as usual.

Oder wie soll ich es verstehen, dass die Regierungspartei SPD jetzt die Luft hat, ihren Bundesfinanzminister zum Kanzerkandidaten zu machen und somit den Bundestagswahlkampf 2021 zu eröffnen?

Ich hatte mich ja schon gefragt, was das soll, als es Meldungen über die Unionsparteien und ihre Absprachen für die Kanzlerkandidatur gab. (sueddeutsche.de: Das Laschet-Söder-Spahn-Szenario – Kurzfassung: Armin Laschet wird Bundespräsident, Jens Spahn CDU-Vorsitzender und Markus Söder wird Kanzlerkandidat.)

Dass „Corona“ noch lange nicht vorbei ist und und uns wirtschaftlich noch viel zu schaffen machen wird, scheint die Meinung von mir alleine zu sein. Und den paar tausend anderen aus diversen Branchen.