Ein Vorteil der Pressefreiheit wird von Regierenden stets verkannt

Das österreichische Innenministerium hat die Medien „Standard“, „Falter“ und „Kurier“ zum Lesen empfohlen. Jedenfalls wenn man einem eine kritische Berichterstattung wichtig ist.

In Österreich ist eine E-Mail aus dem von der FPÖ geführten Innenministerium aufgetaucht, in der nahegelegt wird, diesen Medien weniger Infos zukommen zu lassen.

Der Standard: Innenministerium beschränkt Infos für „kritische Medien“ – „Leider wird wie eh und je seitens gewisser Medien (zum Beispiel ‚Standard‘, ‚Falter‘) sowie neuerdings auch seitens des ‚Kuriers‘ eine sehr einseitige und negative Berichterstattung über das BMI beziehungsweise die Polizei betrieben“, wird in dem Schreiben gewarnt, das dem „Standard“ und dem „Kurier“ über mehrere Stationen zugespielt wurde und dessen Authentizität von mehreren Beamten bestätigt wird.

Ich wundere mich ja immer, dass Regierungen nicht erkennen, welche Chance und Einsparpotenziale ihnen die freie Presse gibt.

Man erfährt kostenlos, wo was schief läuft und bekommt einen Eindruck, was die Menschen im Land so denken. Ohne Pressefreiheit muss man diese Infos über einen Spitzelapparat bekommen. Der kostet Geld und bindet Menschen, die nicht zum Bruttosozialprodukt beitragen.

Wie damals 2006: „Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern?“

Aktuell wundern sich Russlandfreunde, warum sich eine Musikband zur Ermordung des russischen Politikers Boris Nemzow äußert.

Und ein ehemaliger Bundestagsabgeordnete fragt, warum ihn Til Schweiger kommentiere?

Die Antwort ist in all den Fällen ganz einfach:

Grundgesetz Artikel 5: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Da hat sich nichts geändert seit 2006, als ein Werbeagenturbesitzer fragte, „was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern?“
Auch da war die Antwort: Artikel 5. Es gibt keine Publikations- oder Presselizenz.

Dass die Äußerungen in einem gewissen Rahmen bleiben müssen, ist auch klar, steht nämlich ebenfalls in Artikel 5, im zweiten Absatz:

Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Die Freiheit der Reichen

„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“, schrieb der deutsche Publizist Paul Sethe in einem Spiegel-Leserbrief 1965 und dachte an den enormen Aufwand den Massenpublikationen damals benötigten, nämlich Druckereien.

Dass dieser Spruch ausgerechnet in der Welt des Internets, in der Pixel fast zum Nulltarif bedruckt und weltweit verbreitet werden können, wieder wahr wird, hätte Sethe vielleicht doch nicht gedacht.

Denn leider ist es immer noch so, nur etwas anders. Und davon können Blogger und Journalisten ein trauriges, bedrückendes Lied singen.

Aktuell Trainer Baade mit seinem gleichnamigen (im Moment offline) Blog. Er schrieb, wie er das Logo des Sportartikelherstellers „Jako“ findet und wurde dafür wegen Schmähkritik abgemahnt. (siehe ausführlich Wie JAKO anderen Leuten das letzte Trikot auszieht). Keinen Nerv auszufechten, ob das durch Artikel 5 Grundgesetz (Meinungsfreiheit) gedeckt ist, zahlte er die 1000 Euro Anwaltskosten, löschte den Beitrag und versprach das nie wieder zu schreiben.

Monate später entdecken die Anwälte den gelöschten Beitrag bei einem tschechischen News-Aggregator, machten einen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung aus und schlugen wieder zu. Baade solle nun über 5000 Euro zahlen. Zu Zeit schlagen die Wellen deswegen hoch – in der Blogosphäre und jetzt auch bei Spiegel Online. Vermutlich wird die Sache wegen des Medien-Boheis jetzt gut ausgehen. (Nachtrag: Handelsblatt – Man befinde sich in Verhandlungen mit Baade, richtet die zuständige Marketing-Frau aus.)

Was mich stört ist, dass man anscheinend einfach mal so ein Anwaltsschreiben abschicken kann, ohne (als Organ der Rechtspflege) auf die tatsächlichen Zusammenhänge achten zu müssen. Anzuschreiben wäre der News-Aggregator. Wenn ich jemanden auf der Straße anhaue, er müsse mir 5000 Euro geben, weil er die mir schulde und ich dann Druck mache, dann muss ich das ganz schnell den Herren in weißen Kitteln oder schwarzen Roben plausibel machen können, weil ich sonst eine Jacke mit langen Ärmeln oder Ärger kriege. Mit „sorry, da habe ich mich wohl geirrt, nichts für ungut“, komme ich da wahrscheinlich nicht raus.

Was das Ausfechten kosten kann, zeigt passend dazu Jens Weinreich. DFB-Präsident Zwanziger fühlte sich durch einen Kommentar Weinreichs beleidigt und klagte. Zwei Gericht sahen wie Weinreich seine Äußerung durch die Meinungsfreiheit gedeckt, aber es waren noch längst nicht alle Instanzen und Nebenkriegsschauplätze durch. Am Ende gab es einen Vergleich und für Weinreich eine Rechnung seiner Anwälte in Höhe von 17.000 Euro. Die er dank über 800 Spendern bezahlen kann. Und selbst wenn er gewonnen hätte, wären die Anwaltskosten wahrscheinlich an ihm hängen geblieben.

Jetzt mein Lieblingsbeispiel, weil es die Absurdität zeigt, die durch Abmahnungen möglich ist. Ich schreibe, dass die Erde eine Kugel (jaja, sie ist ein Geoid) ist und werde dafür von der „Flat Earth Society“ abgemahnt, weil ich sie damit beleidige. Selbst bei diesem klaren Sachverhalt sollte ich lieber einen Anwalt nehmen, der die entsprechenden Antwortbriefe schreibt. Und wenn das dann abgewehrt ist, will mein Anwalt sein Honorar. Und ob ich das von der Gegenseite einklagen kann, kostet auch wieder Geld, mit dem ich in Vorlage treten muss, ist mehr als unsicher.

Lösungen? Rechtschutzversicherungen decken solche Fälle nicht.

Man könnte, angelegt an das Mietervereinkonzept, einen Publizistenverein gründen, der bei Rechtsfragen berät und bei ausgesuchten Fällen auch vor Gericht zieht. Leider werden da einige ganz schnell beleidigt austreten, wenn der Verein ihnen bei ihren Trollattacken auf die Welt nicht beisteht.

Oder wir versuchen die Gesetze zu ändern. Weiß jemand wie das in Österreich oder der Schweiz gehandhabt wird? Kann man da was übernehmen? Andere Ideen: Man deckelt jede erste Abmahnung auf 100 Euro. Oder stellt Meinungen und Berichterstattung (was natürlich dann jede Internetseite ist) unter besonderen Schutz, der anstelle Abmahnungen Gegendarstellungen vorsieht. Allerdings kollidieren dann Grundrechte wie Persönlichkeitsschutz (Die Grenzen zwischen Meinung und Beleidigung verlaufen fließend) und Meinungsfreiheit.

Oder: Abgemahnte bekommen eindeutige Rechte ihre Anwaltskosten plus Schmerzensgeld für den Stress zurück zu bekommen, wenn die Abmahnung vor Gericht auch in Teilen nicht besteht zudem muss erst die Rechtmäßigkeit seiner Abmahnung bewiesen werden.

Siehe auch: Carta – Statt Meinungsstreit wird eine Kultur der Einschüchterung gefördert.

Wie man eine Website innerhalb einer Woche in die Medien bringt

Der NDR hat einen freien Mitarbeiter weniger und eine Anti-GEZ-Kampagne mehr Aufmerksamkeit. Holger Kreymeier kritisiert auf dafuer-zahl-ich-nicht.de das ÖR-Fernsehen, daraufhin hat NDR mit ihm vereinbarte Aufträge storniert – sagt Kreymeier:

Ich habe gestern Nachmittag einen Anruf von meiner direkten Vorgesetzten bekommen, die mir sagte, dass alle Termine für den Monat März gestrichen werden. Es waren so zehn bis fünfzehn Arbeitstage vereinbart.

Der NDR sieht den Ablauf anders:

Tatsächlich wurde Herrn Kreymeier lediglich mitgeteilt, dass – vor dem Hintergrund seiner Initiative ‚Dafür zahl‘ ich nicht‘ – eine Fortsetzung der Zusammenarbeit überprüft werden müsse. In diesem Zusammenhang wurde Herr Kreymeier um ein klärendes Gespräch mit dem für ihn zuständigen Programmbereichsleiter im NDR gebeten. Dieses Gesprächsangebot lehnte Herr Kreymeier jedoch schriftlich ab.

Ich verstehe ja nicht, warum der NDR da nicht geschickter vorging. Anstelle den Freien einfach austrocknen zu lassen und ihm nach und nach immer weniger Aufträge zu geben, so dass es für ihn ganz von selbst uninteressant wird für diesen Kunden zu arbeiten, nein, da muss man ihn offen und sofort um alle Aufträge bringen. Weil man es eben kann.

Das sowas einer nicht mag ist klar und provoziert eine Reaktion. Die einen gehen dann zum Arbeitsgericht (wie Eva Herman) und behaupten beispielsweise sie waren nur Scheinselbstständige, andere erzählen die Geschichte herum, so dass jeder nun von der Website erfährt. Mir war nämlich bislang dafuer-zahl-ich-nicht.de unbekannt.

Artikel 5 Grundgesetz – Ein Grundrecht hat halt seinen Preis

In Artikel 5 Grundgesetz geht es um die Presse- und Meinungsfreiheit:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Im Zweiten Absatz stehen dann aber ein paar Einschränkungen, die das Grundrecht zu einem Grundrecht für Reiche machen können:

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Wenn sich jemand von einer veröffentlichen Meinung gestört fühlt, kann er vor Gericht ziehen. Auch wenn er am Ende verliert, so kostet das Zeit, Nerven und erstmal auch Geld. Und so hat GG Art. 5 eben seinen Preis.

Bloggerschutzverein?

Weil die Bahn AG Netzpolitik.org abgemahnt hat, wird aktuell über einen Bloggerverband diskutiert.

Sicherlich wird ein Bloggerverband wenig bringen, dazu geraten wir uns viel zu schnell in die Haare.

Aber: Man müsste das Rad ja für Blogger nicht neu erfinden. Es geht meiner Meinung nach hauptsächlich darum Rechtsunsicherheiten auszuräumen und etwas gegen unberechtigte Einschüchterungs- und Abzockversuche in der Hand zu haben.

Zur Zeit ist es nämlich so, das man jeden mit einer Abmahnung erschrecken kann, unabhängig davon, ob ein Blogger die Wahrheit schreibt oder nicht. Und je nach eigener Kriegskasse, löscht man manchen Eintrag doch ganz schnell, bevor man vor Gericht landet und befürchtet, dass es noch teurer wird.

Ich würde mich am Mieterverein-Konzept orientieren. Große politische Aussagen außer „Pressefreiheit, olé und Millionen Euro für unique Visitors “ werden Blogger nicht hinbekommen.

Ein Bloggerschutzverein könnte Mitglieder bei Rechtsfragen beraten, eventuell schreibt der Verein einem einen wasserdichten Brief und zieht unter Umständen auch mal vor Gericht, wenn er gute Aussichten und ein generelles Interesse sieht, weil es um Meinungs- oder Pressefreiheit geht.

So ein Bloggerschutzverein hätte allerdings auch harte Regelungen, dass dessen Juristen entscheiden, wann der Verein einem helfen wird und wann nicht. Und da werden die Ersten bestimmt beleidigt wieder austreten, weil sie ihre Schmähkritik nicht geschützt bekommen etc. Schließlich will man auch nicht die x-te eindeutige und nachweisbare Urheberrechtsverletzung oder Beleidigung ausfechten.