Krimipraxis wird Wirklichkeit

Im Fernsehkrimi wird von den TV-Ermittlern ja manches laxer gehandhabt als es die Polizei erlaubt. Unter anderem stellen es die Fernsehpolizisten gerne so dar, dass man einer Vorladung zu folgen hatte. Hatte. Denn es gibt ein neues Gesetz, das im Schatten des Bundestrojaners verabschiedet wurde. Bislang musste man einer Vorladung der Polizei nicht folgen. Erst wenn die Staatsanwaltschaft einen vorlud, dann musste man kommen. Das ist jetzt anders.

Neues Deutschland – Mehr Macht für die Polizei – Vorladungen der Polizei sind verpflichtend, wenn ihnen ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zu Grunde liegt. Erscheint man nicht, kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld verhängen, ein Richter sogar Ordnungshaft.

Rechtsanwälte sehen das eher kritisch.

Udo Vetter befürchtet zudem, Polizeibeamte könnten ohne Kontrolle durch einen Staatsanwalt auf die Idee kommen, Zeugen zu zermürben, indem sie Vorladungen auf weit entfernte Dienststellen erteilen, etwa einen Zeugen aus Düsseldorf nach Rostock bestellen.

Andere Anwälte sehen Probleme, wenn ein Zeuge möglicherweise sich selbst belasten könnte.

fachanwaelte-strafrecht-potsdamer-platz.de: Zur Klärung der Frage, ob ein Auskunftsverweigerungsrecht im Sinne des § 55 StPO besteht, sind bei komplexen und rechtlich schwierigen Sachverhalten oftmals auch juristische Fragen zu klären. Es erscheint zweifelhaft ob Polizeibeamte immer ausreichend qualifiziert sind, um diese juristischen Fragestellungen zur beantworten.

Und es gab wohl auch historische Gründe, dass die Staatsanwaltschaft die Herrin des Ermittlungsverfahrens wurde.

Justiz und Schnelligkeit – Zwei Welten treffen aufeinander

„Es muss eine möglichst zeitnahe Reaktion erfolgen“, sagte die Jugendstaatsanwältin zu den Zuhörern und alle nickten. Gegen Schluss fragte ich nach, was denn „zeitnah“ bedeutet. Ein Bagatellverfahren sei nach drei Monaten „schnell“ ausermittelt, meinte die Staatsanwältin. „Das ist aber nicht tatnah“, stellte eine Zuhörerin fest.

Da musste die Jugendstaatsanwältin einräumen, dass Juristen-„Schnell“ nicht das ist, was die Bürger unter „schnell“ verstehen. Ein ehemaliger Staatsanwalt versuchte das noch zu relativieren, indem er auf die Personalsituation bei Polizei und Justiz hinwies. Nur: Wenn ich in einem Artikel was falsches schreibe oder die Zeitung was verpasst, interessiert auch keinen warum – was zählt, ist auf dem Platz.

Und dieses „Schnell“ ist meiner Einschätzung nach eines der Probleme bei der Jugendkriminalität. Wenn frühestens nach drei Monaten eine Reaktion auf ein Fehlverhalten (das so übel war, dass ermittelt wurde und ein Richter darüber entscheiden muss) kommt, ist das einfach zu spät. Drei Monate (oder mehr) Zeit sich cool zu fühlen. Drei Monate, nach denen man die Hälfte von dem was passiert ist, vergessen hat. Drei Monate, in denen man glaubt dem zahnlosen Staat ausgetrickst zu haben. Drei Monate, in denen manche glauben wieder Scheiße bauen zu können, weil sie der Rechtsstaat vermeintlich nicht bremst.

Das fiel mir jedenfalls ein, als ich von der Vorgeschichte las, die die beiden Typen hatten, die nachmittags am 12. September wahrscheinlich einen Mann zu Tode getreten haben.

Süddeutsche Zeitung, 14.9.2009 – Urlaub in Stadelheim Ostbau

Hip-Hop, Drogen, Knast und die geliebten Eltern: Wer sind die mutmaßlichen Täter, die den 50-jährigen Geschäftsmann in München zu Tode geprügelt haben? Eine erste Annäherung.

Die Passauer Neue Presse formuliert da weniger zurückhaltend:

Sie leben in den Tag hinein, lassen sich treiben, lungern in der Stadt herum – und sind chronisch pleite. Die Totschläger Markus S. (18) und sein Spezl Sebastian L. (17) haben in ihrem kurzen Leben noch nichts zustande gebracht. Berufslos, arbeitslos.

Ach ja, Reuters: Zypries nach S-Bahn-Angriff gegen härtere Strafen. Hm, mein Problem geht ja nicht Richtung Sühne, wie lange man bestimmte Täter aus Rache wegsperren will, sondern wie lange man sie wegsperren muss, damit sie keine Gefahr mehr für andere sind?

Glossen-Wiederverwertung: Tu was für Darmstadt

Vor rund einem Jahr schrieb ich eine Glosse, wie versucht wird, Darmstadt Klang in der Welt zu verschaffen. Jetzt brauchte ich nur noch einen Satz anzuhängen:

Unsere Lokalpolitiker versuchen ja vieles, um Darmstadt in Deutschland bekannt zu machen. Und was sie nicht alles tun: Das Stadtmarketing wird umgekrempelt. Sie machen Darmstadt zur Wissenschaftsstadt, geben einer heimatlosen Bundesjustizministerin einen Wahlkreis, freuen sich über das bundesweit bekannte Öko-Institut, holten die einmalige Jazzsammlung Joachim Ernst Berendts ins Jazzinstitut, weisen auf Merck, als älteste Pharmaunternehmen der Welt und die einzigartige GSI hin.
Oder locken T-Online in die Weststadt, wo gegenüber Europas Raumfahrtkontrollzentrum ESOC sitzt. Sie hegen den Jugendstil, das PEN-Zentrum Deutschland und das Deutsche-Polen-Institut. Sie feiern einen Preis eines aufsässigen Revoluzzers, weil er von der ansässigen Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung stammt und „Büchner-Preis“ heißt. Andere bauen ein Darmstadtium, um Kongresse aus aller Welt anzuziehen, und versuchen den ICE durch den Hauptbahnhof fahren zu lassen. Die Polizei verschickt sogar Faxe mit geheimen Personenschutzdaten und stellt Ermittlungsakten ins Internet.
Aber was kommt im Lande an, wenn man nach Darmstadt fragt? „Da kommt doch die SPD-Abgeordnete her, die die Ypsilanti nicht wählen wollte.“

Und seit zwei Tagen, ist Darmstadt die Stadt mit der Staatsanwaltschaft, die diese „No Angels“-Sängerin hat verhaften lassen. Oder so.