Die Europäische Zentralbank in Frankfurt.
Ich war heute mit einer gemischten Gruppe (keine Bänker oder Experten) bei einem Ausflug zur Europäischen Zentralbank. Kurz: Das war nix.
Man sollte die EZB-Presse- oder Besucherstelle vorher fragen, wie so ein Besuch ganz genau aussieht. Denn bei uns war das Programm: Ausweis vorzeigen, Taschenkontrolle, Körperscanner mit Gürtel ausziehen (wg. Metallschnalle), rein ins Gebäude, Besucherausweise bekommen, Aufzug in den 5. Stock.
Dort konnte man sich ein Getränk nehmen und dann gab es einen 90-Minuten langen Vortrag zur Arbeit der EZB und was zum Brexit. Zwei von 38 Teilnehmern waren fachlich in der Lage etwas dazu zu fragen. Eineinhalb Stunden, in einem Hörsaal mit sechs bis neun Variationen der Farbe Grau und ohne Fenster. Dann ging es wieder zurück zum Bus.
Ich hatte ja erst gedacht, das wäre ein Witz mit dem 90-minütigen Vortrag, aber das war ernst gemeint. Und der war voll mit Abkürzungen wie HICP und Fachbegriffen wie „makroprudenziell“ und „mikroprudenziell“. Hallo?
Da habe ich mich echt geärgert. Was. Ein. Murks. Für einen Vortrag in einer grautönigen Kammer so ein Aufwand? Da wäre es echt schlauer, die EZB baut auf dem Vorfeld ein Besucherzentrum mit Vortragssaal, wo man gar nicht erst in sicherheitsrelevate Bereiche reinkommt (wie es z.B. Merck gemacht hat). Und mit Dachterrasse von der aus man die EZB fotografieren kann. (Für so ein Foto wie oben muss man nicht aufs Gelände, das kann man vom Parkplatz aus machen.)
Ich greife mir jetzt noch an den Kopf. Dieser stumpfgraue (das verfolgt mich echt) Saal auf der einen Seite und auf der anderen ein monumentales Bauwerk. Ein Gebäude mit besonderer Architektur, eine Aussichtsplattform, Baugeschichte und Stadtgeschichte. Und davon kommt gar nichts, man schleust die Truppe in einen fensterlose Kubus und textet sie eineinhalb Stunde mit etwas zu, was ich besser auf YouTube-Video anschauen oder auf der Website lesen sollte.
Ja, und das alles habe ich den Herrn vom Besucherservice und der Pressestelle auch genauso deutlich gesagt.
Blick von der EZB auf den neuen Henninger-Turm. Das Foto war aus dem Gebäude heraus. Auf den Balkon vorm Fenster durfte man nicht.
Nachtrag: Ich sehe gerade auf der EZB-Website, dass die Organisatoren dieses Angebot gebucht hatten:
(…) Individuell zugeschnittene Vorträge befassen sich ausführlicher mit spezifischen Themen und richten sich an Gruppen, die bereits über fundierte Kenntnisse der Aufgaben und Zuständigkeiten der EZB verfügen.
Teilen Sie uns mit, welches Thema Sie im Zusammenhang mit der Arbeit der EZB besonders interessiert (z. B. Geldpolitik, Bankenaufsicht, Statistik, wirtschaftliche Entwicklungen), und wir bereiten eine Präsentation dazu vor. Dauer: 90 Minuten (…)
Ok, das wusste ich nicht. Aber selbst da hätte ich nicht gedacht, dass die EZB-Kommunikation so leichtsinnig ihre touristischen, historischen und optischen* Assets (und sei es ganz billig der Ausblick über Frankfurt) so dumm vernachlässigt. Ich weiß auch nicht, ob das Angebot genommen wurde, weil es ansonsten nichts anderes gab oder man tatsächlich etwas blauäugig da ranging.
* – Und bevor einer sagt, es geht bei der EZB nicht um die Optik sondern um die Arbeit: Warum wurde dann so opulent neu gebaut, wenn es nur um Arbeit und nicht die Projektion von „Macht“ geht, dann reichen ein Satz Büros, die man mietet.
Nachtrag, 4.2.2020: Wie ich heute erfahre, ist bei der EZB, die ja auf der ehemaligen Frankfurter Großmarkhalle gebaut ist, auch eine öffentlich zugängliche Erinnerungstätte. Weil die Gestapo zwischen 1941 und 1945 den Keller der Großmarkthalle als Sammelplatz für Juden verwendete, die dann in verschiedene KZs deportiert wurden.