Erinnerungen an Corona im März

Eigentlich ist das nur eine Merk- und Wiederfindehilfe für mich. Nur wenn ich das jetzt so ins Blog schreibe, dann braucht es doch noch etwas Text.

Gabor Steingart schrieb in seinem Morning Briefing am 4. März 2020 unter anderem über das Coronavirus:

Fazit: Bald könnte es zu einem natürlichen Ende der Hysterie kommen. Das wärmere Wetter schwächt die Überlebensfähigkeit des Virus, stärkt die Immunkräfte des Körpers und führt zu mehr räumlicher Distanz zwischen den Menschen. Im kommenden Winter werden sich die meisten Teilnehmer dieses Angstseminars kaum mehr an ihr Coronafieber erinnern – und falls doch, dann mit einem Schmunzeln.

Ich höre schon wie Ende 2020 die Eltern über die Schulschließungen, die Wirte über ihre geschlossenen Gaststätten, und die Veranstaltungsbranche über das ruhige Jahr 2020 schmunzeln.

Pareto-Prinzip auch bei Cornoa? Sorgen 20 Prozent für 80 Prozent der Infektionen?

SARS-CoV-2, Darstellung des Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Foto: Alissa Eckert, MS, Dan Higgins, MAMS

Bei der „Zeit“ gibt es eine Zusammenfassung, wie sich das Coronavirus überträgt. Dabei gibt es ein paar Auffälligkeiten. Unter anderem hat der durchschnittliche Übertragungswert eine hohe Varianz. Das heißt, einige stecken gar keinen anderen an, einige aber dafür sehr viele.

Und dann scheint sich ein Muster herauszubilden. Wo laut gesprochen, gesungen oder heftig geatmet wird, gibt es mehr Ansteckungen.

Zeit.de: Jeder könnte Superspreader sein – Der britische Epidemiologe Adam Kucharski von der London School of Hygiene and Tropical Medicine hat für das neue Virus einen k-Wert von ungefähr 0,1 errechnet. (Endo et al., 2020). „Vermutlich führen zehn Prozent der Fälle zu 80 Prozent der Ausbreitung“, sagt er.

In dem Artikel sind auch viele Links, wenn man weiterlesen möchte.

„Die Corona-Virenschleudern Österreichs“

SARS-CoV-2, Darstellung des Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Foto: Alissa Eckert, MS, Dan Higgins, MAMS

Die Überschrift oben ist eine Verkürzung. In lang lautet sie „Après-Ski und Chöre sind die Corona-Virenschleudern Österreichs“. und steht bei nzz.ch Aber die Kernaussage wird nicht nur für Österreich gelten.

Im Text stehen ein paar Hinweise zur Übertragung des Coronavirus.

Die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) hat Übertragungen untersucht und laut Franz Allerberger, Leiter des Bereichs Öffentliche Gesundheit, sind die ausschlaggebenden Faktoren Nähe und lautes Sprechen oder Singen

nzz.ch: Die Behörden betreiben mit grossem Aufwand Contact-Tracing – Aus den Analysen des ersten Sars-CoV-2-Clusters in Bayern konnten die Forscher von der München Klinik Schwabing und der Charité Berlin den Risikokontakt definieren: Wer mit einer infizierten Person im Abstand von weniger als 1,5 Metern länger als 15 Minuten geredet hatte, der war einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, selbst das neue Coronavirus zu bekommen.

Was ja auch zur Situation in Bars und Clubs passt, wo man lauter reden muss und auch länger als eine Viertelstunde da ist. Und es passt auch zu dem Kirchenchor in den USA. Da waren 45 von 60 Mitgliedern nach einer zweistündigen Probe infiziert.

Coronaviren – ein seit 2003 bekanntes Pandemie-Risiko mit Szenario von 2012

Natürlich hat das Virus keine Ei-Form, das ist ein Gag von mir zu Ostern,
Die SARS-CoV-2, Darstellung (in rund) stammt von Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Foto: Alissa Eckert, MS, Dan Higgins, MAMS.

Irgendwie bin ich ja mit der Bundesregierung unzufrieden. Ziemlich sogar. Nicht wegen der aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Katastrophe. Da gibt es zur Zeit wenig Alternativen. Auch weil ein „lass mal gucken was passiert“-Rumprobieren bei einer Infektionskrankheit mit exponentieller Ausbreitung und der bis zu zwei Wochen dauernden Verzögerung von Ansteckung bis zu Symptomen schwer bis gar nicht in Griff zu bekommen ist.

Ich ärgere mich aber, dass die Regierung die Warnungen und Hinweise auf eine Pandemie jahrelang nicht ernst genommen hat. Denn das gehört zu deren Job. Das erste Sarsvirus war 2003 unterwegs, erinnert der Schweizer Arzt Prof. Paul Robert Vogt in der Mittelländischen Zeitung (der Artikel hat mehrere Themen und ist recht lang). Unter andererm kritisiert der Mediziner, dass die Schweiz nicht ihre Lehren aus den Publikationen zu Sars-CoV-2 gezogen hat.

Mittelländische Zeitung: Acht Warnungen zwischen 2003 und März 2019 – Diese Pandemie war angekündigt. War die Schweiz minimal auf diese Pandemie vorbereitet? Nein. Hat man Vorkehrungen getroffen, als COVID-19 im China ausgebrochen ist? Nein. Hat man wissen können, dass eine COVID-19-Pandemie über die Welt ziehen wird? Ja, sie war angekündigt und die Daten lagen bis März 2019 vor. (…) Hätte man diese medizinischen Fakten zur Kenntnis genommen und wäre man fähig gewesen, Ideologie, Politik und Medizin zu trennen, wäre die Schweiz heute mit grosser Wahrscheinlichkeit in einer besseren Lage.

Und da frage ich mich doch glatt, was unsere Regierung so alles an Erkenntnissen aus China, Südkorea und Taiwan ignoriert hat?

Wobei, da sind erstmal die eigenen Erkenntnisse, die sogenannte Modi-Sars-Pandemie (PDF), ein Szenario des Robert-Koch- und des Paul-Ehrlich-Instituts von 2012 über das der Deutsche Bundestag informiert wurde. Das Szenario war zwar keine Vorhersage für Sars-CoV-2, hätte aber eine Grundlage zur Prävention sein können oder müssen. Aber bei drei Gesundheitsministern scheint da wenig passiert zu sein (Daniel Bahr, FDP, Hermann Gröhe und Jens Spahn, beide CDU). Jetzt wird das Geld, was man seit 2012 eingespart hat, für die Rettung der Volkswirtschaft benötigt. Ob sich das am Ende gerechnet hat?

rbb: Wie ein Szenario von 2013 Teile der Corona-Pandemie von heute vorwegnahm „Modi-Sars“ haben die Wissenschaftler des Robert Koch-Instituts (RKI) den Erreger genannt, der in ihrem Szenario von 2013 drastische Auswirkungen hat: 7,5 Millionen Tote, ein völlig überfordertes Gesundheitssystem, heftige wirtschaftliche Schäden, eine tiefe Verunsicherung der Bevölkerung, politische und gesellschaftliche Verwerfungen.

Aus dem Modi-Sars-Szenario wurde aus meiner Sicht wenig bis gar nichts abgeleitet. Ich sage ja nicht, dass man eine halbe Million Intensivbetten vorhalten muss, aber die schlechte Lage bei Masken und Schutzausrüstungen legt doch einiges nahe. Man hätte sich auch überlegen können, wie man die Gesundheitsämter durch die Ausbildung Ehrenamtlicher zu Nachverfolgern unterstützt. Da braucht man nämlich viele Leute für. Die haben im Idealfall nie zu tun, werden aber regelmäßig geschult und können im Ernstfall dann die Kontakte der Infizierten verfolgen.

Und auch dann wurde noch im Februar 2020 bei der Bundesregierung wenig auf Fachleute gehört. Im Februar hatte sich der Chef eines Unternehmens für Hygienebekleidung, Mundschutz und Atemschutzmasken wegen Megabestellungen aus China ans Bundesgesundheitsministerium gewandt.

Spiegel: „Wir haben gemahnt, und keiner hat uns gehört“ Bereits am 5. Februar hatte sich Theiler per E-Mail an den Bundesgesundheitsminister gewandt und darauf hingewiesen, dass es in Kürze zu bedenklichen Engpässen bei der Versorgung mit Schutzmasken für Krankenhäuser kommen werde und dazu aufgerufen, die Versorgung der Kliniken voranzutreiben.

Auch der Chef eines Unternehmens, das Coronavirus-Diagnostik-Kits herstellt, warnte den Bundesgesundheitminister.

RP-Online via msn.com: Berliner Firma liefert Corona-Tests an die ganze Welt – Olfert Landt findet, die deutschen Behörden haben die Gefahr des Virus zu lange unterschätzt. „Spätestens als es in Italien losging, hätte man schneller reagieren sollen“, sagt er. Anfang Februar habe er sich selbst an Gesundheitsminister Jens Spahn gewandt und ihn gebeten, die Öffentlichkeit stärker zu warnen.

Und dann der fehlende Mut nach den ersten Infektionen größere Veranstaltungen, wie die erst nach den Webasto-Fällen beginnenden Karnevalssaison, abzusagen.

dpa meldete am 29.Januar 2020 „Webasto schließt Standort wegen vier infizierten Mitarbeitern“; die Karnevalssitzung im Kreis Heinsberg war am 15. Februar, Rosenmontag 2020 war am 24. Februar.

Oder was war mit der isländischen Warnung vor Ischgl vom 5. März 2020?

Salonkolumnisten: Die Schlafwandler – Was genau geschah nach Wuhan und dem COVID-19-Ausbruch Ende November? Welche Berichte von Geheimdiensten, der WHO, dem RKI und der Regierung in China hatten Kanzleramt, Spahn und EU-Kommission wann und mit welchen Details auf dem Tisch? Dass andere Länder ähnlich schlecht reagiert haben, ist keine Entschuldigung. Die USA haben derzeit eine Regierung, die wissenschaftliche Erkenntnisse auf nahezu allen Feldern mit Füßen tritt; China ist eine Diktatur, die sich keine Blöße geben will und in der oft nicht sein kann, was nicht sein darf. Hier geht es um Europa und um Deutschland.

Nachtrag: Das wir so gut dastehen (Stand 20. April) liegt meiner Meinung nach auch nicht am vorausschauenden Regierungshandeln. Die vielen Tests sind bei uns möglich, weil Diagnostik in Deutschland seit Jahrzehnten unterstützt und von den Kassen bezahlt wird. Es gibt genügend Ärzte, die Diagnostiklabore betreiben. Und dass wir so viele Intensivbetten haben, verdanken wir auch dem Gesundheitssystem, weil die gut bezahlt werden (welt.de: „Mit künstlicher Beatmung wird richtig viel Geld gemacht“). Und wohl dem Glück, dass die Bertelsmann- und Leopoldinastudien zur Reduzierung der Krankenhäuser zu neu waren, um schon umgesetzt zu sein.

„Schaut auf die Zahl der Intensivpatienten“

SARS-CoV-2, Darstellung des Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Foto: Alissa Eckert, MS, Dan Higgins, MAMS

Jens Schröder, Journalist und Dataminer, findet, dass die Anzahl der mit dem Sars-CoV-2-Virus infizierten Menschen nicht so aussagegkräftig ist. Die Länder testen ja nicht nach einem einheitlichen Schema und auch nicht jeden. Er schlägt vor, auf die Patientenzahlen in den Kliniken zu gucken, da gibt es weniger Dunkelziffern.

Vergesst die Zahl der Infizierten, schaut auf die Zahl der Intensiv-Patienten!: (…) die Zahl der Infektionen kann und darf bei der Beurteilung der Lage in den Medien, aber auch in der Politik nicht die einzige Rolle spielen, solang die Dunkelziffer der unbekannten Infizierten nicht bekannt ist.

Deutlich relevanter sind die Zahlen der Patienten, die ins Krankenhaus müssen und vor allem derjenigen, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen.(…)

Weswegen er nun eine Statistik anhand von Krankenhausdaten aufstellt.

COVID-19-Zahlen-Update vom 3. April

Die Coronavirus-Lage wird uns wohl noch länger begleiten

SARS-CoV-2, Darstellung des Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Foto: Alissa Eckert, MS, Dan Higgins, MAMS

Es gibt schlüssige Simulationen , dass „Flatten the Curve“, um die Coronavirus-Lage in den Griff zu bekommen, nicht mal eben in vier Wochen vorbei ist. Und auch nicht in sechs Wochen, weil einige noch Corona-Partys feierten.

Denn was mir natürlich auch nicht aufgefallen war: Wenn 82 Mio. Menschen in Deutschland so langsam angesteckt werden „sollen“, dass man mit der medizinischer Behandlung hinterherkommt, dann dauert das, weil 82 Mio. sehr viele Menschen sind.

spiegel.de: Eine Frage von Monaten – Falls in den kommenden Monaten weder Medikamente noch eine Impfung verfügbar sind, könnte der Lockdown im Extremfall bis ins Jahr 2021 hinein gehen.

„Wir müssen vielleicht davon ausgehen, dass wir gesellschaftlich ein Jahr im Ausnahmezustand verbringen müssen.“
Der Virologe Christian Drosten in der ZEIT.

quarks.de: Darum ist die Corona-Pandemie nicht in wenigen Wochen vorbei

RKI: Modellierung von Beispielszenarien der SARS-CoV-2-Epidemie 2020 in Deutschland (PDF).