Die Freiheit der Reichen

„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“, schrieb der deutsche Publizist Paul Sethe in einem Spiegel-Leserbrief 1965 und dachte an den enormen Aufwand den Massenpublikationen damals benötigten, nämlich Druckereien.

Dass dieser Spruch ausgerechnet in der Welt des Internets, in der Pixel fast zum Nulltarif bedruckt und weltweit verbreitet werden können, wieder wahr wird, hätte Sethe vielleicht doch nicht gedacht.

Denn leider ist es immer noch so, nur etwas anders. Und davon können Blogger und Journalisten ein trauriges, bedrückendes Lied singen.

Aktuell Trainer Baade mit seinem gleichnamigen (im Moment offline) Blog. Er schrieb, wie er das Logo des Sportartikelherstellers „Jako“ findet und wurde dafür wegen Schmähkritik abgemahnt. (siehe ausführlich Wie JAKO anderen Leuten das letzte Trikot auszieht). Keinen Nerv auszufechten, ob das durch Artikel 5 Grundgesetz (Meinungsfreiheit) gedeckt ist, zahlte er die 1000 Euro Anwaltskosten, löschte den Beitrag und versprach das nie wieder zu schreiben.

Monate später entdecken die Anwälte den gelöschten Beitrag bei einem tschechischen News-Aggregator, machten einen Verstoß gegen die Unterlassungserklärung aus und schlugen wieder zu. Baade solle nun über 5000 Euro zahlen. Zu Zeit schlagen die Wellen deswegen hoch – in der Blogosphäre und jetzt auch bei Spiegel Online. Vermutlich wird die Sache wegen des Medien-Boheis jetzt gut ausgehen. (Nachtrag: Handelsblatt – Man befinde sich in Verhandlungen mit Baade, richtet die zuständige Marketing-Frau aus.)

Was mich stört ist, dass man anscheinend einfach mal so ein Anwaltsschreiben abschicken kann, ohne (als Organ der Rechtspflege) auf die tatsächlichen Zusammenhänge achten zu müssen. Anzuschreiben wäre der News-Aggregator. Wenn ich jemanden auf der Straße anhaue, er müsse mir 5000 Euro geben, weil er die mir schulde und ich dann Druck mache, dann muss ich das ganz schnell den Herren in weißen Kitteln oder schwarzen Roben plausibel machen können, weil ich sonst eine Jacke mit langen Ärmeln oder Ärger kriege. Mit „sorry, da habe ich mich wohl geirrt, nichts für ungut“, komme ich da wahrscheinlich nicht raus.

Was das Ausfechten kosten kann, zeigt passend dazu Jens Weinreich. DFB-Präsident Zwanziger fühlte sich durch einen Kommentar Weinreichs beleidigt und klagte. Zwei Gericht sahen wie Weinreich seine Äußerung durch die Meinungsfreiheit gedeckt, aber es waren noch längst nicht alle Instanzen und Nebenkriegsschauplätze durch. Am Ende gab es einen Vergleich und für Weinreich eine Rechnung seiner Anwälte in Höhe von 17.000 Euro. Die er dank über 800 Spendern bezahlen kann. Und selbst wenn er gewonnen hätte, wären die Anwaltskosten wahrscheinlich an ihm hängen geblieben.

Jetzt mein Lieblingsbeispiel, weil es die Absurdität zeigt, die durch Abmahnungen möglich ist. Ich schreibe, dass die Erde eine Kugel (jaja, sie ist ein Geoid) ist und werde dafür von der „Flat Earth Society“ abgemahnt, weil ich sie damit beleidige. Selbst bei diesem klaren Sachverhalt sollte ich lieber einen Anwalt nehmen, der die entsprechenden Antwortbriefe schreibt. Und wenn das dann abgewehrt ist, will mein Anwalt sein Honorar. Und ob ich das von der Gegenseite einklagen kann, kostet auch wieder Geld, mit dem ich in Vorlage treten muss, ist mehr als unsicher.

Lösungen? Rechtschutzversicherungen decken solche Fälle nicht.

Man könnte, angelegt an das Mietervereinkonzept, einen Publizistenverein gründen, der bei Rechtsfragen berät und bei ausgesuchten Fällen auch vor Gericht zieht. Leider werden da einige ganz schnell beleidigt austreten, wenn der Verein ihnen bei ihren Trollattacken auf die Welt nicht beisteht.

Oder wir versuchen die Gesetze zu ändern. Weiß jemand wie das in Österreich oder der Schweiz gehandhabt wird? Kann man da was übernehmen? Andere Ideen: Man deckelt jede erste Abmahnung auf 100 Euro. Oder stellt Meinungen und Berichterstattung (was natürlich dann jede Internetseite ist) unter besonderen Schutz, der anstelle Abmahnungen Gegendarstellungen vorsieht. Allerdings kollidieren dann Grundrechte wie Persönlichkeitsschutz (Die Grenzen zwischen Meinung und Beleidigung verlaufen fließend) und Meinungsfreiheit.

Oder: Abgemahnte bekommen eindeutige Rechte ihre Anwaltskosten plus Schmerzensgeld für den Stress zurück zu bekommen, wenn die Abmahnung vor Gericht auch in Teilen nicht besteht zudem muss erst die Rechtmäßigkeit seiner Abmahnung bewiesen werden.

Siehe auch: Carta – Statt Meinungsstreit wird eine Kultur der Einschüchterung gefördert.

„Und wenn Frau Kraft nicht ihren Anwalt zu dieser Geschichte bemüht hätte …“

„… wäre es vermutlich bei den beiden oben stehende Kommentaren geblieben“, schreibt heute ein Kommentator zu einem Blogbeitrag (mit tatsächlich zwei Kommentaren) der Ruhrbarone, der sich am 16. Juni über eine Lebenlauf-Straffung der NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft auffällig fand (Wie eine SPD-Spitze ihre Geschichte verändert).
Dann aber:

Sprich, die Geschichte hätte sich eigentlich versendet und fertig. Aber nein, die SPD-Chefin beweist Internet-Kompetenz und mahnt ab.

Ein SPD-nahes Blog findet übrigens, dass der Ruhrbarone-Autor kein Blogger ist:

David Schraven ist natürlich nicht die Unschuld vom Lande, vielleicht sogar nicht einmal ein Blogger: unter einem Blogger verstehe ich, und ich bin mir sicher, dass man sich auf diese Definition leicht einigen kann, einen Amateur, der aus Spaß an der Freude Texte, Bilder und Videos im Internet veröffentlicht.

Vermutlich haben SPD-Freunde recht. Denn einer, der aus Spaß bloggt, der wäre ob der Abmahnung (ob zu recht oder nicht) sicherlich vorsichtshalber und sofort eingeknickt. Weil der einseitig festlegbare Streitwert und die möglichen Anwaltskosten auf einen Laien ziemlich einschüchternd wirken können.

Bloggerschutzverein?

Weil die Bahn AG Netzpolitik.org abgemahnt hat, wird aktuell über einen Bloggerverband diskutiert.

Sicherlich wird ein Bloggerverband wenig bringen, dazu geraten wir uns viel zu schnell in die Haare.

Aber: Man müsste das Rad ja für Blogger nicht neu erfinden. Es geht meiner Meinung nach hauptsächlich darum Rechtsunsicherheiten auszuräumen und etwas gegen unberechtigte Einschüchterungs- und Abzockversuche in der Hand zu haben.

Zur Zeit ist es nämlich so, das man jeden mit einer Abmahnung erschrecken kann, unabhängig davon, ob ein Blogger die Wahrheit schreibt oder nicht. Und je nach eigener Kriegskasse, löscht man manchen Eintrag doch ganz schnell, bevor man vor Gericht landet und befürchtet, dass es noch teurer wird.

Ich würde mich am Mieterverein-Konzept orientieren. Große politische Aussagen außer „Pressefreiheit, olé und Millionen Euro für unique Visitors “ werden Blogger nicht hinbekommen.

Ein Bloggerschutzverein könnte Mitglieder bei Rechtsfragen beraten, eventuell schreibt der Verein einem einen wasserdichten Brief und zieht unter Umständen auch mal vor Gericht, wenn er gute Aussichten und ein generelles Interesse sieht, weil es um Meinungs- oder Pressefreiheit geht.

So ein Bloggerschutzverein hätte allerdings auch harte Regelungen, dass dessen Juristen entscheiden, wann der Verein einem helfen wird und wann nicht. Und da werden die Ersten bestimmt beleidigt wieder austreten, weil sie ihre Schmähkritik nicht geschützt bekommen etc. Schließlich will man auch nicht die x-te eindeutige und nachweisbare Urheberrechtsverletzung oder Beleidigung ausfechten.

Abmahnungen sind zu einfach

Das Blog Netzpolitik.org wurde abgemahnt. Netzpolitik veröffentlichte ein PDF zur aktuellen Bespitzelungsaffaire der Deutsche Bahn AG., was der Bahn nicht gefiel. Denn es wurde ein internes Memo des Berliner Landesdatenschutzbeauftragten zur Mitarbeiter-Rasterfahndung bei der Deutschen Bahn publiziert.

Über das Papier berichteten wohl auch andere, aber Netzpolitik.org bekam die Abmahnung. Und gegen bekannte Blätter wie Zeit oder Handelsblatt geht man vielleicht nicht gerne vor. Die haben ja Rechtsabteilungen und könnten sich wehren.

Vermutlich hat die Bahn-Rechtsabteilung die Reichweite der Website unterschätzt, denn inzwischen schreibt quasi jedes Blog darüber.

Mir zeigt das wieder mal, dass zu leicht und ohne Risiko abgemahnt werden kann. Wäre es jetzt nicht die Situation kleiner Blogger gegen große Bahn, sondern kleine Website gegen Radiohändler, wäre das nicht so interessant und ganz schnell aus der Welt. Weil man es sich als Privatmann eigentlich gar nicht leisten kann es auf einen Gerichtsprozess ankommen zu lassen. Selbst wenn man die Wahrheit geschrieben hat, knickt man bei drohenden Kosten von ein paar 100 Euro schnell ein.

Und wenn sich herausstellt, dass der Websitebetreiber nicht einknickt und eventuell sogar recht hat und im Recht ist, dann zieht man seine Abmahnung zurück und sagt „Sorry, war ein Irrtum, nichts für ungut“. Jetzt die Auslagen für eigene Anwälte wieder zu bekommen, weil einer auf den schnellen und dreisten Erfolg gesetzt hat, ist ziemlich schwierig.

Nichts gegen Abmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen und nichts gegen Gegendarstellungen, aber Abmahnungen ohne Risiko für den Abmahner gefährden für mich Presse und Meinungsfreiheit. Weil der finanziell Potentere den anderen immer einschüchtern kann.

Anstelle nur über Abmahnungen zu jammern und hoffen, dass es die Medienresonanz wieder geradebiegt oder einen Verband zu gründen rufe ich dazu auf seine Bundestagsabgeordneten auf das Problem anzusprechen. Gerade der Hinweis auf Pressefreiheit sollte die schon interessieren. Und wenn nicht, dann hat man schon mal einen Hinweis, wen man nicht wählen sollte.