Darmstädter Haushaltslöcher

(Dieser Artikel war im Frühjahr 2010 im „Vorhang auf“ erschienen.) Im März 2011 sind in Hessen Kommunalwahlen, die in Darmstadt mit den Oberbürgermeisterwahlen zusammenfallen könnten. Die nächste Stadtregierung wird für fünf Jahre gewählt sein, der OB für sechs Jahre. Die VORHANG AUF-Serie beleuchtet kommunalpolitische Hintergründe und Darmstädter Themen

Die Million als die kleinste Recheneinheit, wenn man auf den defizitären Darmstädter Haushalt schaut. Wie kommt es dazu und warum ist Darmstadt trotzdem nicht pleite?

Im Haushaltsentwurf 2010 geht Bürgermeister und Kämmerer Wolfgang Glenz (SPD) von rund 380 Millionen Euro „ordentlichen Erträge“ aus. Die „ordentlichen Aufwendungen“ liegen bei knapp 443 Millionen Euro. Damit sind die Ausgaben höher als die Einnahmen. Darmstadts Gesamtschulden bei Banken, Bund und Land liegen bei 631 Millionen Euro. Ein großer Teil der Schulden (456 Millionen Euro) sind sogenannte „Investitionskredite“ mit denen Werte geschaffen wurden wie Straßen oder Gebäude. Pleite ist die Stadt nicht. Das Sachvermögen Darmstadts aus Gebäuden, Bädern oder Straßen ist 378 Millionen Euro höher als die Schulden. Zum Vergleich: Das Land Hessen hat 57,9 Milliarden mehr Schulden, als das gesamte Landesvermögen wert ist.

Wer Schulden hat, zahlt aber auch Zinsen. „Die Stadt muss jedes Jahr mehr als 30 Millionen Euro Zinsen bezahlen. Also rund fünfmal soviel, wie jährlich für die Schulsanierung benötigt würde“, erinnert André Schellenberg, haushaltspolitischer Sprecher der Darmstädter CDU-Fraktion.

Verwaltungs- und Pflichtaufgaben
Verwaltungs- und Pflichtaufgaben machen den größten Teil des Haushaltes aus. Größtenteils fließen die Aufwendungen in Aufgaben wie Abfall- und Abwasserentsorgung, Ordnungswesen, Wohnraumkosten bei Hartz IV oder hoheitliche Aufgaben. Der Anteil der Personal- und Versorgungsaufwendungen beträgt rund 22 Prozent. „Man kann davon ausgehen, dass eine Kommune nur rund zehn Prozent Manövriermasse hat, um freiwillige Aufgaben zu leisten“, schätzt der Kämmerer Wolfgang Glenz. Vereinsförderung mache dabei nur ein bis zwei Prozent aus, betont der Kämmerer.

Kosten, die der Bund den Gemeinden aufbürdet, können diese nicht abwenden. Beispielsweise lag der Bundeszuschuss für die Wohnkosten bei ALGII-Empfängern vor fünf Jahren noch bei 32 Prozent, jetzt sind es 23 Prozent. „Das macht bei uns in Darmstadt bei gleichen Fallzahlen gleich acht Millionen Euro aus“, rechnet Kämmerer Glenz vor. Schellenberg kritisiert hingegen „explosionsartig gestiegene Folgekosten“ als Folgen fehlerhafter und verschleppter städtischer Planung. „Wer wie Baudezernent Wenzel kleine Schlaglöcher in der Fahrbahndecke ignoriert, muss sich nicht wundern, wenn irgendwann die gesamte Straße inklusive Unterbau für weitaus mehr Geld saniert werden muss.“ Die „Neuen Wege in Arheilgen“ seien mangels Planung rund 20 Millionen Euro teurer geworden, und das Darmstadtium koste zur Zeit jährlich drei Millionen Zuschuss plus vier Millionen Abschreibung.

Der größte Teil der kommunalen Einnahmen (57 Prozent) kommt aus Steuern wie der Gewerbesteuer oder steuerähnlichen Erträge. Zuweisungen und Zuschüsse machen 16 Prozent der Einnahmen aus, Leistungsentgelte 14 Prozent. Damit sind Kommunen stark konjunkturabhängig. Die Gewerbesteuererträge werden 2010 laut Kämmerer um 20 Millionen auf 120 Millionen Euro sinken, der Einkommensteuerertrag um zehn Prozent auf 62,5 Millionen Euro. Da die Landestranferleistungen mit mehr Einwohnern steigen, plädiert die Darmstädter CDU unter anderem dafür die ehemaligen US-Kasernen zu zügig für Wohnbebauung und Gewerbe nutzbar zu machen. Auch die Stadt geht davon aus, dass dort mindestens 5000 Neu-Darmstädter wohnen können.

Das Darmstädter Haushaltsloch ist hausgemacht?
Für die Kommunalaufsicht, das Regierungspräsidium, ist die Sache jedoch klar, das Darmstädter Haushaltsloch ist hausgemacht. „Die seit Jahren bestehende Haushaltsschieflage ist zwar auch durch schwindende Erträge, im Wesentlichen jedoch durch hohe Aufwendung entstanden“, erklärt RP-Sprecher Gerhard Müller für seine Behörde. Die städtische Infrastruktur werde bei hohen Standards auf hohem Niveau gehalten. Was allerdings los ist, wenn die Öffnungszeiten von Stadtteilbüros, Bezirksverwaltungen und Stadtbüchereien eingeschränkt werden, ist auch bekannt.

Das Regierungspräsidium sieht seinerseits Spielräume bei den Gewerbe- und Grundsteuern, da diese teilweise unter dem Landesdurchschnitt liegen. Die Darmstädter Kämmerei bewertet eine Gewerbesteuererhöhung jedoch aus mit Blick auf Nachbargemeinden als kontraproduktiv.

Aus Sicht der Stadt kann mit den bestehenden Gesetzen die schwankende Einnahmesituation nicht verstetigt werden, daher müsste die Kommunalfinanzierung reformiert werden. CDU-Haushälter Schellenberg hält ebenfalls eine Verstetigung der kommunalen Steuereinnahmen durch höhere Einkommens- und Umsatzsteueranteile für möglich.

Die Grundsteuer anzuheben wäre perspektivisch sinnvoll, erklärt Darmstadts Pressesprecherin Sigrid Dreiseitel für die Stadt, dies müssten dann aber alle hessischen Kommunen mitmachen.

Aber, wenn man ehrlich ist: Ganz ohne Schuldenmachen wird keine Partei regieren wollen und können. Politiker treten mit verschiedenen Konzepten an, um die Gesellschaft und das Umfeld zu gestalten, Entwicklungen zu befördern und ungerechte Schieflagen auszugleichen. Und nur weil ein Vorgänger den Haushalt warum auch immer in die Grütze geritten hat, wird man nicht auf auf Autopilot umschalten und auf eigene Projekte verzichten. Die bis im vergangenen Jahr regierenden Ampelkoalition hatte beispielsweise das Ziel die Kinderbetreuung in Darmstadt auszubauen und die Stadt zur kinderfreundlichsten in Hessen zu machen.

Finanzielle Luft für Darmstädter Vereine – Sparkasse großzügig

Bürgermeister und Kämmerer Wolfgang Glenz (SPD) kündigte heute im Stadtparlament an, dass die Sparkasse Darmstadt Vereinen entgegenkommen wird, solange in Darmstadt die vorläufige Haushaltführung gilt. Die Sparkasse werde bei Kontoüberziehungen relativ großzügig sein, sagte Glenz und es würden den Vereinen keine Überziehungszinsen berechnet.

Die Kommune will mit dieser Vereinbarung den Vereinen entgegenkommen. Zur Zeit müssen die Vereine auf die normalerweise üblichen Abschlagszahlungen warten, weil die Stadt ohne beschlossenen Haushalt keine freiwilligen Leistungen bedienen darf.