„Für Sie mag das ein blödes Formular sein, für mich ist es das Leben“ – Jugendtheater inszeniert Gefahr der Verwaltung

„Kein Eintritt ohne Gürtel“ steht auf einem Schild im Saal der Petrusgemeinde, „Kein Ausgang“ klebt auf der Tür und an der Wand mahnen weitere Schilder unter anderem seine Adoptionspapiere bereit zu halten. Die Jugendtheatergruppe „Spielbar“ der Petrusgemeinde gab vor rund 90 begeisterten Zuschauern Ramon Piersons Bürokratie-Groteske „Virtual Reality“.

Eigentlich will Nina Otis (gespielt von Lilli Lander) nur eine Genehmigung vom Amt, um auf der Straße musizieren zu dürfen. Aber für die Sachbearbeiterinnen sind die Formulare wichtiger als Logik. „Für Sie mag das ein blödes Formular sein, für mich ist es das Leben“, fertigt Frau Dohlen (Lisa Auerbach) die Blümchenkleidträgerin ab. „Sie haben ein Problem, ich habe das System.“ Bei dem alle Wartenden mitmachen, weil es ja schon irgendwie richtig sein muss, sich irgendwer ja was dabei gedacht haben wird.

Eva Tarr (Martha Westhoff-Rippel) verwandelt Nina Otis (Lilli Lander) in eine Bürokratin.[/caption
Während der Antragstellung geht Ninas Ausweis verloren, wegen einer absurden Bearbeitungsgebühr hat sie kein Geld mehr und wird zur mittellosen Asylsuchenden. Weil Mittwoch ist, kommt sie in der Behördenlogik aus Afrika – weil Mittwochs Afrikaner vorsprechen. „Ich bin keine Afrikanerin“, erklärt Otis und verweist auf ihre Hautfarbe. „Wir dürfen aber nicht über die Hautfarbe anderer Personen diskutieren“, verzerrt die Sachbearbeiterin den Schutz vor Diskriminierung zur zulässigen Drangsalierung. Nina Otis bekommt schließlich Hilfe von Eva Tarr (Martha Westhoff-Rippel): „Die fürchten sich doch vor jemanden, der Autorität hat.“ Und so dreht Nina mit Brille, Köstüm und Klemmbrett den Spieß um.

Das Stück kritisiert Bürokratie und Verwaltungsvorschriften, die schnell zu den wahren Herrschern werden. Die Anspielungen – unter anderem mit A-Plaketten – auf reale Systeme wie den Nationalsozialismus wirken etwas holzhammerhaft. Auch ohne das wird deutlich, dass wir auch heute nicht vor Vorschriftenwahn sicher sind, wie beispielsweise Anti-Terrorismus-Sicherheitsbestimmungen zeigen. [caption id="attachment_17586" align="aligncenter" width="594"] Eva Tarr beobachtet Nina Otis, die den Spieß umdreht und die Sachbearbeiterinnen (Lisa Auerbach, Laura Theiß, Ann-Cathrin Hartmann, Svenja Adrian) antreten lässt.

Zwei Dumme, ein Gedanke

Gestern war ich für eine Stadtteilzeitung im Gemeindesaal der Petrusgemeinde. Die Jugendtheatergruppe „Spielbar“ gab Ramon Piersons Bürokratie-Groteske „Virtual Reality“. Und ich dachte mir so, dass der Satz

„Für Sie mag es ein blödes Formular sein, für mich ist es mein Leben“

eine schöne Überschrift wäre. Und was steht heute in der Tageszeitung? Genau: „Für Sie ist ein Formular, für mich das Leben