Überraschung im Stadtparlament – jedenfalls für mich. Die Opposition hat gestern alle ihre Stadtverordneten zusammengebracht. Auch Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) war da, womit ich nicht gerechnet hatte.
Und damit stand doch eine Mehrheit von einer Stimme gegen die Minderheitskoalition aus Grünen und CDU. Womit dann die geplante Grundsteuererhöhung nicht durchkam.
Echo online: Lichtwiesenbahn auf Eis gelegt – Grundsteuererhöhung abgelehnt
Da kamen gestern halt einige Momente zusammen. Zwischen 2011 und 2016 hatte die Grünen-CDU-Koalition eine Mehrheit und einen „Neuen Politikstil“ gepflegt, den ich hier stets kritisiert hatte – weil er keiner war. Der Opposition wurde so gut wie kein Erfolg gegönnt, es wurde ausgegrenzt. Einbindung in Verantwortung? Wozu?
Bequemer Weg #1: Preiswerte Kooperation statt teure Koalition
Dann ging 2016 die Mehrheit flöten. Und die Koalition suchte sich den preiswertesten Partner, den sie finden konnte: Uffbasse. Die linksalternative Fraktion wollte kein Dezernat, dafür einige Projekte durchsetzen. Das war Grüne und CDU natürlich bequemer als ein anderer Partner, wie beispielsweise die FDP, die bei „Jamaika“ (Grün-Schwarz-Gelb) nur mitgemacht hätte, wenn sie ein hauptamtliches Dezernat bekommen hätte. So aber blieben alle Dezernenten der Koalition im Amt.
Bequemer Weg #2: Steuern rauf, statt Kürzungsvorschläge
2017 ging dann die Koalition in Haushaltsklausur, um Anfang Mai mit der Nachricht heimzukommen, dass aktuell rund 52 Millionen Euro Gewerbesteuer fehlen. Ihr Konsolidierungskonzept war simpel: Gewerbe- und Grundsteuern rauf und erstmal freiwillige Leistungen sperren. Nur: Da zog Uffbasse nicht mit.
Bequemer Weg #3: Hoffen, dass die Mehrheit schon zustandekommt
Was aber erstmal fast egal war, denn für die Steuererhöhungen reicht im Stadtparlament eine einfache Mehrheit. Da kann man auch pokern und hoffen, dass die sechs Oppositionsparteien nicht in der Lage sind, den Druck aufzubauen, dass alle ihre Leute da sind. Stadtparlament ist schließlich ein Ehrenamt, die haben alle noch normale Jobs. Für die Koalition gilt das zwar auch, aber für die ist es einfacher, es sind nur zwei Fraktionen und der Hebel ist die Frage, ob man denn wirklich seinen OB oder Kämmerer beschädigen wolle? Wirklich? Na also.
Aber irgendwie wurde die Koalition dann aber unsicher, ob sie eine einfache Mehrheit hat und kündigte an, die Landesgartenschau doch nicht ausrichten zu wollen. Wobei es doch vorher (zu recht) gehießen hatte, dass der Verzicht auf Großprojekte den aktuellen Haushalt nicht retten wird (sowas wie die Landesgartenschau wird über Kredite finanziert und nicht aus dem laufenden Haushalt).
Im Haupt- und Finanzausschuss wurde dann vorgeschlagen, einen „Runden Tisch Finanzen“ mit allen Fraktionen einzuberufen. Da lag dann auch eine Liste für weitere Sparmaßnahmen vor. Nur war das halt am 8. Juni und nicht am 2. Mai, nach der Haushaltsklausur. Oder während der Haushaltsklausur, zu der man ja die Opposition hätte einladen können. (In Weiterstadt gab es 2015 eine Gewerbesteuerrückzahlung. Der Bürgermeister teilte dies im Februar 2015 mit, schlug einen Runden Tisch mit allen Fraktionen vor, der sich noch im gleichen Monat traf.)
Ach ja, Bequemer Weg #0: Bei hohen Erträgen 2016 und 2017 einfach mal nichts kürzen …
Dass die Opposition keine rechte Lust hat, nachträglich grün-schwarze Haushalte zu retten, ist nachvollziehbar. Schließlich war bei den vergangenen zwei Haushalten auf „Lottogewinne“ (also Gewerbesteuereinnahmen auf Rekordhöhen) gesetzt worden. So musste man keine Prioritäten setzen (und irgendwo unpopulär kürzen) – was für die Kommunalwahl 2016 und die OB-Wahl 2017 vielleicht auch nicht so gut gekommen wäre.
… aber „Alles oder nichts“ spielen
Das Hoffen auf gute Gewerbesteuereinnahmen (212 Millionen Euro für 2017 anstelle der eher üblichen 160 Millionen Euro – Echo online: Industrie- und Handelskammer: Kämmerer hat nach Rekordeinnahmen 2016 viel zu optimistisch kalkuliert) war aber doppelt riskant. Denn Darmstadt muss noch darauf achten, dass es Schutzschirmkommune ist. Sollte es die Landesbedingungen nicht erfüllen können, droht der Stadt, dass sie dem Land Hessen 180 Millionen Euro zurückgeben muss. Vor dieser Kulisse finde ich es doch doppelt mutig, Ausgaben in solchen Höhen zu beschließen, die nur finanzierbar sind, wenn die Einnahmen auf höchstem Niveau bleiben.