Hinterher ist man immer schlauer. Das gilt auch für Wahlergebnisse und deren Analyse.
Bevor ich es vergesse, weise ich gleich mal auf Jörgs Analyse zu den einzelnen Stadtbezirken hin: Eine kleine, oberflächige Blitzanalyse
Ich finde ja: 2016 ist wie 2006. Der große und der kleine Koalitionspartner haben einige Prozente verloren und brauchen nun einen dritten Partner. Waren es 2006 SPD (~29%) und Grüne (~15%), sind es jetzt Grüne (~29%) und CDU (~18%). Allerdings fehlt 2016 eine zweite Partei mit ~30%, diese Stimmen sind unter AfD, FDP, Linke, Piraten, Uffbasse und Uwiga verteilt.
Ich wurde ja von einem ehemaligen Genossen gefragt (nein, ich bin auch keiner mehr), ob ich auch was zur SPD schreiben würde. Naja, mir lag ja was auf der Zunge ;-), aber gut:
Bei dem schlechten SPD-Ergebnis, dachte ich ja erst, dass die Wähler Brigitte Zypries nicht abgenommen hatten, dass sie ins Stadtparlament geht. Aber wenn man auf ihre rund 20.000 Einzelstimmen guckt, dann hat sie im Vergleich zur SPD sehr gut abgeschnitten. Die Grünen Spitzenkandidaten liegen durchweg besser, aber das liegt daran, dass die einfach viel mehr Wähler haben. Der Abstand zwischen Brigitte Zypries und Dagmar Metzger liegt bei 7000 Stimmen, bei den Grünen liegt der Anstand zwischen den ersten beiden Kandidaten und den folgenden bei rund 2500 Stimmen.
Bundestrend, ja: Es gibt bestimmt auch SPD-Wähler, die jetzt zur AfD gewechselt sind, der „AfD-Wahlbezirk“ in Eberstadt-Süd war z.B. früher von der SPD gewonnen worden.
Lokal: Ich glaube, dass die SPD mit den Plakaten „Grün muss man sich leisten können“ oder „Autofahrer sind auch nur Menschen“ nichts gewonnen hat. Das war einfach zu negativ.
Bei der Oppositionsarbeit in den vergangenen Jahren wurde auch der Koalition meiner Meinung nach unnötig oft gegens Schienbein getreten – auch wenn es nur einmal pro Parlamentssitzung war. Teilweise gab es auch gute Ideen, wie 2012 die „Bürgerversammlung“ der SPD zum Haushalt und zum kommunalen Schutzschirm. Aber wenn sogar ein Genosse nach der Wahl mit Zweifeln auf die Darmstädter SPD blickt, kann es nicht doll gewesen sein:
„anti-modern“: Das was in den letzten 5 Jahren lief, war keine Oppositionsarbeit. Das was die Fraktionsführung und Einzelne da ablieferten und auch auf den letzten Metern abgeliefert haben wirkte wie Schaum vor dem Maul und hat die Darmstädter nur abgeschreckt und an Darmstädter Verhältnisse erinnert.
Somit hatte es die SPD Grün-Schwarz auch zu leicht gemacht, ihre Ideen zu ignorieren. Ich denke da zum Beispiel an einen Antrag im Dezember 2013 im Stadtparlament. Es ging um die Grafenstraße und die neue Einbahn-Verkehrsregelung. Geschäftsleute fanden sie nicht gut und fühlten sich von der Stadt übergangen. Andererseits war so in der Straße endlich kein Chaos mehr, weil eben nicht mehr jeder in jede Richtung fahren konnte.
Santi Umberti beantragte also für die SPD-Fraktion einen Beirat für das Sanierungsgebiet Mollerstadt einzurichten. Ok, dachte ich, das klang doch auch im Ton ganz moderat. Die Koalition wollte nicht mitziehen und dann sprach der SPD-Fraktionsvorsitzende von der Bürgerbeteiligung mit „willkürlich zusammengewürfelten Auditorien“ als „Jubelveranstaltungen“. Naja, damit war natürlich für die Gewerbetreibenden der Grafenstraße erstmal nichts mehr zu erreichen, weil die Grünen sich ihre Beteiligung nicht madig machen lassen wollten. (Ich fand aber den Umgang der Koalition mit den Gewerbetreibenden damals auch nicht gut.)
Ich fand zwar, dass die Koalition auch mal hätte Größe zeigen können („neuer Politikstil“), aber da war sie auch lieber den alten Reflexen gefolgt und keilte halt zurück – bloß nicht zuviel neues auf einmal.
Andere Wähler werden festgestellt haben, dass ihr Wechsel 2011 von der SPD zu den Grünen gar nicht so schlimm war und sind nicht mehr zurückgekommen. Und irgendwo müssen ja auch die gesteckt haben, die den Grünen in den 90ern mal 25 Prozent beschert hatten. Und andere warten noch, ob die SPD sich erneuert und aus 2011 was gelernt hat. Die Darmstädter SPD wurde wahrscheinlich auch deswegen von einigen nicht gewählt, weil sie befürchteten, dass die SPD bei einem Erfolg 2016 die Wahl von 2011 als „Betriebsunfall“ abschreibt und da weitermacht wo sie vorher war.
CDU
Die CDU wird ihre Prozentpunkte tatsächlich zum großen Teil wegen dem Bundestrend an die AfD verloren haben. In zweiter Linie an die FDP, sowie Nichtwähler, die die Koalition mit den Grünen nicht mögen. Vermutlich vermissten sie die „schwarzen Nähte im grünen Gewand“ wie es 2011 mal auf dem Parteitag zur Koalitionsvereinbarung formuliert wurde.
Auch könnten einige enttäuscht sein, dass aus der Ansage des damaligen CDU-OB-Kandidaten ‚mehr umsetzen und weniger zerreden‘ nicht allzuviel geworden ist. Kein saniertes Stadion, kein neues Nordbad, am Berufsschulsanierungskonzept von 2006 wurde nochmal gefeilt, sodass es jetzt 2017 losgehen soll. Bei der Gelegenheit: Die Grafenstraße ist auch noch nicht umgebaut.
In Arheilgen könnte das Ergebnis an der … ich sag‘ mal freundlich … ambivalenten Haltung zum Emanuel-Merck-Platz und der damit einhergehenden Verengung der Frankfurter Straße vor Merck gelegen haben. So wie ich das mitbekomme, ist die Arheilger CDU eigentlich gegen eine Verengung, kann das aber nicht so laut sagen.
Aber andererseits: Wenn ich auf die Kurven oben gucke, dann sehen die CDU-Verluste gar nicht so aus, als wären sie von Wählerwanderungen zur AfD verursacht. Der Stimmenanteil ist – ähnlich wie bei der SPD – einfach kontinuierlich am sinken. 2016 ist vielleicht einfach nur eine Fortsetzung der Erosion seit 2006. Und die ist ähnlich wie bei der SPD, beide Parteien sind fast nur noch halb so stark wie 2006.
Die Grünen
Die Grünen hatten 2011 von Fukushima profitiert und dass man ihnen das Thema Bürgerbeteiligung am ehesten zutraute. Damals waren auch die Proteste wegen Stuttgart 21 und es wurde diskutiert, wie unauffällig das Großprojekt S21 Ende der 90er an den Bürgern vorbei beschlossen worden war. Dazu kam noch ein positives Moment durch den OB-Wahlkampf.
Die beiden Punkte waren 2016 kein Themen mehr, dennoch sind sind die knapp 30 Prozent 2016 immer noch fast doppelt soviel wie die rund 15 Prozent von der Kommunalwahl 2006. Viele neue Wähler von 2011 sind also mit den Grünen zufrieden und dann noch der OB-Amtsbonus. Ob die Differenz zu 2011 nur Fukushima ist, weiß ich nicht, ein paar Wähler werden auch verloren gegangen sein, weil ihnen die Grünen nicht mehr grün genug sind. Ich denke da an die Westrandumfahrung am Rande des Westwalds.
Der von mir kritisierte „Neue Politikstil“ wird vermutlich nur mich gestört haben, die Wähler waren da vermutlich realistischer, die haben sowieso nicht daran geglaubt.
Ja, was sollte ich machen? Ich weiß berufsbedingt wie konstruktiv das mit Opposition und Kooperation in Weiterstadt läuft und da durfte man doch mal hoffen.
Und das andere Plus für grün – was ich schonmal erwähnt hatte: Die Wähler in Deutschland wählen die Opposition erst dann, wenn die mit der Regierung richtig unzufrieden sind. Im Bewusstsein der Wähler werden Regierungen abgewählt und nicht Oppositionen gewählt. Solange man meint, dass der Laden läuft, passiert nicht viel.
Problem – nicht für mich, sondern für die Parteien – bei dem ganzen Kommunalwahlergebnis ist, dass es für die Akteure fix und bequem mit bundespolitischen Einflüssen erklärt und alles lokale ignorierend zu den Akten gelegt werden kann. Das allerdings hatte die SPD schonmal 2006 gemacht, um ihre damaligen Magistratsmitglieder und die Parteiführung nicht zu beschädigen.