Nachholbedarf für Darmstadt? – Diskussion in der Schaderstiftung zur Bürgerbeteiligung

Wie man Bürgerbeteiligung fördern könne, war Thema des vierten Schader-Bügerforums „Stadt und Quartier“ am 8. März in der Schaderstiftung. „Das Vertrauen in die Ergebnisse des etablierten Politikbetriebs ist gesunken“, bestätigte der Soziologieprofessor Roland Roth von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Es gebe auch erste Reaktionen, verwies er beispielhaft auf eine Demokratieenquetekommission in Rheinland-Pfalz.

„Die Bürger haben bessere Beteiligungsvoraussetzungen“, erklärte der Soziologe den über 100 Zuhörern. Bildung, neue Medien wie das Internet und andere Kindererziehungsmethoden, wirkten sich nun aus. „Heute haben wir zum großen Teil Verhandlungsfamilien.“

Potenziale abholen und Stammtischhaltung aufgeben
Roland Roth gab Hinweise, wie Beteiligung gelingen könnte. „Es muss klar sein, worum es geht und wer welche Befugnisse und Ressourcen hat“, sagte er. Beim Bürgerhaushalt in Bonn seien beispielsweise falsche Erwartungen geweckt worden, als sich herausstellte, dass tatsächlich nur Kürzungsvorschläge gesammelt werden konnten. Beteiligung müsse aufsuchend sein, wies er hin, also die Verwaltung auf die Bürger zugehen und die Potenziale abholen – und nicht warten, bis die Proteste kommen. Das baden-würtembergische Filderstadt (44.350 Einwohner) habe beispielsweise in seine Satzung geschrieben, dass ein Beteiligungsprozess initiiert werde, wenn 1000 Bürger dies wollten. Wenn die Stadt nicht interessiert sei, gründe man eben selbst einen Bürgerverein, werde aktiv und wähle beim nächsten Mal anders, empfahl der Professor. Die Bürger müssten ihrerseits auch lernen, wie Beteiligung funktioniert und ihre Stammtischhaltung aufgeben, erinnerte er. „Man muss bereit sein anderes rauszukommen, als man reingekommen ist.“

Günstige Bedingungen im Freiburger Biotop Rieselfeld
Andreas Roessler vom „BürgerInnenVerein Rieselfeld e.V.“ aus Freiburg berichtete über fast ideale Bürgerbeteiligung – in dem 1992 gegründeten Stadtteil Rieselfeld (10.500 Einwohner, 78 Hektar Bebauuung). Das Rieselfeld war vor der Bebauung ein 500 Hektar großes Biotop und ist es – nun aus soziologischer Sicht – eigentlich auch heute noch.

Freiburger Eigenheiten und die Struktur im Stadtteil begünstigen dort Beteiligung. „Bürgervereine haben in der ganzen Stadt eine große Tradition“, wies Roessler hin. „Die Vereine sind im Prinzip die Stadtteilvertretung.“ An denen – obwohl nicht gewählt – kämen Politik und Verwaltung kaum vorbei. Weiterhin wurde der Stadtteil nur 30 Prozent (geplant waren 70 Prozent) Sozialwohnungen gebaut. Eine Straßenbahnlinie und ein Schule bildeten von Anfang an die Infrastruktur. Auch der Ausbau in vier Abschnitten ließ den Stadtteil gesund wachsen. Und Sozialarbeiter sowie ein Quartierzentrum begleiteten die Entwicklung sozialer Strukturen, zählte Roessler auf. „Ohne die wäre die ganze Geschichte anderes gelaufen.“

„Darmstadt ist bei der Bürgerbeteiligung unterentwickelt“
Jürgen Luft vom Bürger- und Kerbverein aus der Heimstättensiedlung sah in der anschließenden Diskussion Nachholbedarf bei der Bürgerbeteiligung in Darmstadt. Auch bei der neuen grün-schwarzen Stadtregierung. Die Unterschriftensammlung für den Erhalt des amerikanischen Theaters (Performing Arts Center) in der Siedlung sei ignoriert und der Abriss nur verzögert worden, kritisierte er. Die Verwaltung bremse zu viel, fand ein anderer Teilnehmer. „Darmstadt ist bei der Bürgerbeteiligung unterentwickelt“, folgerte ein Bürger.

Das nächste Schader-Bürgerforum „Stadt und Quartier“ ist am 19. April, 18 Uhr. Es geht um verkehrsarme Quartiere und Lösungen mit Individualverkehr, ÖPNV und Car-Sharing.

(Zuerst erschienen im Eberstädter Lokalanzeiger und in den Bessunger Neuen Nachrichten)