Der SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ fällt am 16. Juli 1914 auf, dass das k.u.k.-Außenministerium viel ruhiger ist als während der Annektionskrise 1908 und der Balkankriege 1912 und 1913.
Während der Ballplatz damals mit dem Aufgebote eines argen Lärms arbeitete, kein Mittel zur Erregung der Leidenschaften verschmähte und seine „Entschlossenheit“ in den grellsten Farben malte, befleißigen sich die offiziellen Kreise diesmal einer Zurückhaltung, die man loben müsste, wenn man hoffen dürfte, dass sie echt sei. (…) Aber das bange Gefühl, dass im Dunklen eine schwere Gefahr lauert, will nicht weichen.
Der Artikel ahnt, dass Österreich-Ungarn was von Serbien haben wollen wird und hat Verständnis.
Wenn sich Österreich auf das Begehren beschränken sollte, dass man in Serbien diejenigen, die zu der Sarajevoer Mordtat Beihilfe geleistet haben, zur Verantwortung zieht, so wäre dagegen nichts einzuwenden und könnte dagegen niemand einen ernstlichen Einwand erheben.
Befürchtet aber, dass Österreich-Ungarn mehr will und kritisiert zugleich Großserbien-Pläne.
Nun möchten wir es mit aller Deutlichkeit wiederholen, dass wir diese Agitation, die auf die Vereinigung aller serbischen Gebiete zu einem Staate ausgeht, gleichgültig welche „idealen“ Motive ihr zu Grunde liegen mögen, für eine der schwersten Bedrohungen des Friedens in Europa halten, denn dass ihre Verwirklichung nur in einem Weltkriege möglich wäre, ist wohl klar. (…) dieser unruhvolle und unruhstiftende Staat hat wahrlich nicht wenig auf dem Gewissen.
Und zum fehlgeschlagenen Anschlag auf Rasputin kritisiert der Vorwärts die Zarenfamilie:
Neuerdings scheint vor allem auch die aus Deutschland gebürtige Zarin ein Opfer der geschäftstüchtigen Mystiker geworden zu sein.
In Paris sind die Sozialisten etwas kämpferischer, ihr Vorsitzender Jean Jaurès ruft zum internationalen Generalstreik auf, um einen Krieg zu verhindern.
„Der Kongress sieht unter allen Mitteln, die einen Krieg verhindern sollen, einen gleichzeitigen internationalen Generalstreik (…) als besonders wirksam an.“
Wie man dann sehen wird, wird es leider nicht funktionieren.
Derweil ist die französische Regierung auf ihrer Seereise nach St.Petersburg.
welt.de: Mit Frankreichs Superschlachtschiffen zum Zaren – Die Tage auf See nutzte der Präsident dazu, dem Regierungschef einige politische Lektionen zu erteilen (…) Noch wichtiger aber war Poincaré, Viviani außenpolitisch einzunorden: „Ich zeige ihm, dass ich niemals ernsthafte Schwierigkeiten mit Deutschland gehabt habe, weil ich Deutschland gegenüber immer mit großer Entschiedenheit aufgetreten bin.“
Aus Russland berichtet der deutsche Botschafter Friedrich von Pourtalès dem Reichskanzler:
Das Attentat in Sarajevo hat zwar auch hier einen tiefen Eindruck gemacht, und die Verurteilung des schändlichen Verbrechens kam im ersten Augenblick in weiten Kreisen laut zum Ausdruck. Der hier gegen Österreich-Ungarn herrschende tiefe Haß machte sich jedoch sehr bald auch bei diesem traurigen Anlaß geltend, und die Entrüstung über die an den Serben in der österreichisch-ungarischen Monarchie geübte Rache übertönte schon nach wenigen Tagen alle Äußerungen der Teilnahme für den greisen Kaiser Franz Joseph und sein Reich.
Er hatte auch mit dem russischen Außenminister Sergei Sasonow gesprochen und bekam keine Unterstützung für eine Strafaktion gegen Serbien – weil das gar kein „großserbisches Komplott“ gewesen sei.
Ebenso bestritt Herr Sasonow, daß, wie österreichischerseits behauptet werde, das Attentat auf ein großserbisches Komplott zurückzuführen sei. Jedenfalls sei in dieser Beziehung bis jetzt nicht das Geringste bewiesen* und es sei im höchsten Maße ungerecht, die serbische Regierung, die sich vollkommen korrekt verhalte, für das Verbrechen verantwortlich zu machen, wie es in der österreichisch-ungarischen Presse geschehe.
Der deutsche Botschafter Max von Lichnowsky in London telegrafiert an den Reichkanzler und rät zur Vorsicht. Er hatte am 15. Juli mit dem britischen Außenminister Edward Grey gesprochen:
Sir E. Grey sagte, alles käme darauf an, welcher Art etwaige Eingriffe sein würden, keinenfalls dürfe eine Schmälerung des serbischen Gebiets in Frage kommen. Er hat auch, wie berichtet, sich daraufhin bemüht, in Petersburg zugunsten der österreichischen Ansprüche zu wirken. Sollte aberin Rußland infolge militärischer Maßnahmen Österreichs eine gewaltig erregte Bewegung entstehen, so würde er gar nicht in der Lage sein, die russische Politik in der Hand zu behalten (…)
Am 16. Juli vermisst von Lichnowsky bei Österreich-Ungarn ein Konzept in der Krise und fragt, ob man die Doppelmonarchie unbedingt unterstützen muss:
Es fragt sich für mich nur, ob es sich für uns empfiehlt, unseren Genossen in einer Politik zu unterstützen,bzw. eine Politik zu gewährleisten, die ich als eine abenteuerliche ansehe, da sie weder zu einer radikalen Lösung des Problems noch zu einer Vernichtung der großserbischen Bewegung führen wird.
Wenn die k.u.k. Polizei und die bosnischen Landesbehörden den Thronfolger durch eine „Allee von Bombenwerfern“ geführt haben,so kann ich darin keinen genügenden Grund erblicken, damit wir den berühmten pommerschen Grenadier für die österreichische Pandurenpolitik aufs Spiel setzen, nur damit das österreichische Selbstbewußtsein gekräftigt werde, das in diesem Falle, wie die Ära Ährenthal gezeigt hat, sich als vornehmste Aufgabe die möglichste
Befreiung von der Berliner Bevormundung hinstellt.
Er holt dann ziemlich weit aus und blickt auf die ungarische Revolution von 1848, in den der russische Zar Nikolaus I. eingriff und so die Habsburger rettete.
Sollte aber wirklich für unsere politische Haltung die Ansicht ausschlaggebend sein, daß nach Verabreichung des »Todesstoßes« an die großserbische Bewegung das glückliche Österreich, von dieser Sorge befreit, sich uns für die geleistete Hilfe dankbar erweisen wird, so möchte ich die Frage nicht unterdrücken, ob nach Niederwerfung des ungarischen Aufstandes durch die Hilfe des Kaisers Nikolaus und die vielseitige Inanspruchnahme des Galgens nach Bezwingung der Ungarn bei Vilagos und unter der Oberleitung des kaiserlichen Generals Haynau die nationale Bewegung in Ungarn erdrückt wurde, und ob die rettende Tat des Zaren ein inniges und vertrauensvolles Verhältnis zwischen beiden Reichen begründet hat.
Und das mit dem geheimen Ausformulieren des Ultimatums wird wohl nichts. Nikolai Schebeko, der russische Botschafter in Wien, erfährt laut Sean McMeekin am 16. Juli vom britischen Botschafter de Bunsen etwas über die österreichischen Ultimatumspläne für Serbien.