Wie das Jazzarchiv nach Darmstadt kam – 20 Jahre Jazzinstitut in Bessungen

Die Tage ist in den „Bessunger Neuen Nachrichten“ ein (wie ich finde ein sehr schöner) Artikel von mir zum 20. Geburtstag des Jazzinstituts Darmstadt erschienen. Bei der Gelegenheit habe ich dann auch mal aufgeklärt, warum „Jazzpapst“ Joachim Ernst Berendt seine Sammlung überhaupt Darmstadt überlassen hat – wo er doch gar kein Darmstädter war:

Das Jazzinstitut Darmstadt in Bessungen. Von Anfang an sei klar gewesen, dass das Kavalierhaus des ehemaligen Jagdhofs kein Elfenbeinturm werden soll, betont Direktor Wolfram Knauer.

Das renommierte, in Bessungen gelegene Jazzinstitut Darmstadt wird 20 Jahre alt. Der Keim des 1990 gegründeten Jazzinstituts wurde aber schon 1983 gelegt. Günther Metzger war Oberbürgermeister und entwickelte die Idee, die Sammlung des Internationalen Musikinstituts Darmstadt um die Jazzsammlung des Jazzkritikers und Produzenten Joachim Ernst Berendt (*1922; †2000) zu erweitern. „Jazzpapst“ Berendt war kein Darmstädter, er war von 1945 bis 1987 Redakteur beim Baden-Badener Südwestfunk (SWF, seit 1998 SWR) und weltweit einer der dienstältesten Jazzredakteure. In Darmstadt aber war SWF-Kollege Friedrich Hommel. Der Chef der Südwestfunk-Musikabteilung war zwischen 1982 und 1994 Leiter des Internationalen Musikinstituts Darmstadt. Und über diesen Kontakt kam die Sammlung nach Südhessen.

Die Berendtsche Sammlung mit Schallplatten, Büchern, Zeitschriften, Fotos und Plakaten war so erst im Internationalen Musikinstitut und 1988 Grundlage der Mathildenhöhenausstellung „That’s Jazz. Der Sound des 20. Jahrhunderts“. Das Archiv wuchs und die Stadt entschloss sich ein selbstständiges Jazzinstitut zu gründen.

Start mit Steckdosenplanung
1990 war es soweit, das Jazzinstitut Darmstadt startete mit provisorischen Räumen im John F. Kennedy-Haus, dem heutigen Literaturhaus in der Kasinostraße 3. Direktor wurde der damals 32 Jahre alte Kieler Musikwissenschaftler Wolfram Knauer. Aber der Umzug in die Bessunger Straße 88d war schon geplant. „Eine meine ersten Amtshandlungen war Steckdosen auf einem Grundriss des Kavalierhauses einzuzeichnen“, erinnert sich Knauer im Gespräch. Der Kieler, der 1989 seine Doktorarbeit über „Zwischen Bebop und Free Jazz – Komposition und Improvisation des Modern Jazz Quartetts“ geschrieben hatte, kam über eine Ausschreibung in der Wochenzeitung „Die Zeit“ auf Darmstadt. „Ich dachte, da hat jemand meinen Lebenslauf beschrieben“, erzählte der Musikwissenschaftler, als er damals die Stellenausschreibung gelesen hatte.

Lobbyarbeit für den Jazz
Das Institut bringt Theorie und Praxis zusammen. Von Anfang an sei klar gewesen, dass das Kavalierhaus kein Elfenbeinturm werden soll, betont der Direktor. „Für uns macht die Arbeit auf den unterschiedlichen Ebenen den Spaß aus.“ Das Institut ist offen für Recherchen und Anfragen. „Jeder, der irgendetwas über Jazz wissen will kommt irgendwann auf uns“, sagt Knauer. Und so kommen täglich zwischen 100 und 120 Anfragen aus der ganzen Welt über Telefon, E-Mail oder Post. Alle zwei Jahre bringt das Institut einen „Wegweiser Jazz“ heraus, mit Adressen und Informationen zum Jazz in Deutschland, eine ganz praktische Hilfe für die Musiker. Ebenfalls im zwei Jahresrhythmus tagt das Darmstädter Jazzforum. Die Vorträge werden in der Buchreihe „Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung“ dokumentiert.

November 2006 – Jazzinstitut Direktor Wolfram Knauer stellt das Buch ‚Jazz goes Pop goes Jazz‘ vor und zeigt OB und Kulturdezernent Walter Hoffmann aus dem Fundus die Trompete des Jazztheoretikers Carlo Bohländer.

Jazz ist auch immer noch aktuell, einerseits durch seine Musik, aber auch durch seine Bedeutung in der Musiktheorie. Jazz ist die Grundlage für die gesamte Pop-Musik bis hin zum Hip-Hop. Beispielsweise ist das Setzen von Riffs oder Harmonien, von Jazz-Musikern entwickelt worden. Ein Riff ist eine prägnante Ton- oder Akkordfolge wie beispielsweise der Anfang von Deep Purples „Smoke on the water“.

„Knotenpunkt im Jazz-Netzwerk“ – Lob von Nord bis Süd
Das Jazzinstitut ist nicht nur durch die vielleicht durch Lokalpatriotismus getrübte Darmstädter Brille eine tolle Einrichtung, sein guter Ruf geht von Schleswig-Holstein bis Bayern. „Das Jazzinstitut ist für den Jazz und seine gesellschaftliche Bedeutung von höchster Relevanz“, sagt Rainer Haarmann, künstlerischer Leiter von „JazzBaltica“. Beim schleswig-holsteinischen Jazzfestival „JazzBaltica“ treten seit über einem Jahrzehnt zahlreiche renommierte internationale und lokale Künstler auf. „Auch das Archiv ist von großer wissenschaftlicher Bedeutung“, sagt Haarmann. „Und jeder Austausch mit Dr. Knauer ein Gewinn.“

Lob kommt auch von der Donau. „Die geschätzten Kollegen des Darmstädter Jazzinstituts gestalten einen wichtigen Knotenpunkt im weltweit gespannten Netzwerk des Jazz“, bestätigt Sylke Merbold vom Bayerischen Jazzinstitut aus Regensburg. Merbold lobt auch das Engagement der Mitarbeiter. „Groß macht das Jazzinstitut nicht allein sein Thema, sondern auch seine rührigen Vertreter, allen voran Dr. Knauer, die ihr Thema nicht bearbeiten, sondern leben.“

Louis-Armstrong-Professur
2008 war Wolfram Knauer der erste europäische Louis-Armstrong-Professor an der New Yorker Columbia University. Die Professur ist nicht zwingend mit Jazz verbunden, der Name kommt daher, dass sie von der Louis-Armstrong-Stiftung bezahlt wird. Knauers Vorgänger waren neben Musikern auch Historiker oder Journalisten. Ziel der Professur ist Fachwissen von außen an die Uni zu bringen. Knauer hielt dort unter anderem ein Seminar zu „Jazz in Europe/European Jazz“.

„Junge Musiker sind weniger schrankenborniert“
Wer Schwierigkeiten mit Jazz hat, dem empfiehlt Knauer ein Konzert. „Jazz ist eine Live-Musik. Man tut Menschen einen Gefallen, wenn man sie mit ins Konzert nimmt.“ Jazz von CDs oder Platte sei schwerer zu erleben,weil die Musiker auf ihr Publikum reagierten. „Am Anfang des Abends wissen beide Seiten nicht, wo es hingeht.“ Daher sei es auch gut und wichtig, dass das Institut seinen eigenen Konzert-Gewölbekeller habe, betont Knauer. Dass Jazz einen elitären Ruf hatte, sei teilweise von den Musikern selbst gefördert worden, erklärt der Forscher. Auch mit Blick auf die besseren Gema-Vergütungen für E-Musik (ernsthafte Musik). „Manche haben ganz bewusst versucht sich da einzuordnen. Junge Musiker sind heute weniger schrankenborniert.“