Bezahlung und ihre Anreize

Die Art der Honorierung ist auch eine Art Wette.


In den Kommentaren zu meiner Krautreporterkritik vom Sonntag schreibt Krautreporter Rico Grimm auch etwas zum KR-Honorarsystem:

Rico Grimm: Ich habe bisher 4500 Euro bekommen, also 500 Euro pro Artikel. Wenn Leute nur 1-3 Texte geschrieben haben, haben sie auch nur entsprechendes Honorar bekommen.

Spiegel Online oder Zeit Online würden 180 Euro beziehungsweise 150 Euro zahlen, führt er weiter aus (zum Vergleich). Über die Honorarsätze gibt es nichts zu meckern.

Allerdings ist Honorierung pro Artikel nicht das, was in der Fundingphase angekündigt war.

Social Secrets-Interview mit Alexander von Streit: Die Autorinnen und Autoren in unserem Kernteam bekommen eine monatliche Pauschale von 2000 bis 2500 Euro. Dafür liefern sie in der Regel einen Text pro Woche, übernehmen auch regelmäßig redaktionelle Arbeiten.

Das wurde geändert, aber am Honorar ändert sich wenig, da ein Text pro Woche à 500 Euro auch 2000 Euro bedeutet.

Aber man ist mit der Honorierung pro Artikel wieder an einer Stelle, von der man meiner Auffassung nach doch eigentlich weg wollte. Nämlich von dem kurzfristigen Denken und Handeln. Auch wenn es vermutlich gute und zwingende Gründe gab, von der Monatspauschale abzurücken.

Social Secrets-Interview mit Alexander von Streit: Die Orientierung auf Reichweite, also vermarktbare Klicks auf den meisten Nachrichten-Websites, führt in der Masse zu einem Journalismus, der sich in erster Linie an dem Reichweitenpotenzial eines Themas orientiert. Das verändert die Themenauswahl, (…) In der Masse fehlt es aber aufgrund der oben beschriebenen Mechanismen meist an Zeit und Budget, um tiefer in Themen einzusteigen, die abseits der aktuellen Agenda liegen.

Jetzt setzt KR als Website zwar nicht auf die schnelldrehenden Geschichten, aber ich als Reporter bin doch schwer in der Versuchung, bei Bezahlung pro Artikel, schnelldrehende Themen zu suchen. Bei Bezahlung nach Masse überlege ich mir doppelt, wo ich mich dransetze und mache im Zweifelsfall die Geschichte mit dem geringeren Aufwand und/oder die bei der ich sicherer mein Honorar bekomme.

Ich will damit nichts unterstellen, aber ich bin hier als freier Journalist im Lokalen auch immer vor solchen Entscheidungen. Und habe auch schon mal Artikel abgelehnt und abgegeben, wenn ich befürchtete, dass ich im Verhältnis zu dem was rauskommen kann, da zuviel Zeit reinstecken muss. Im Endeffekt muss bei jedem Termin und Gespräch was bei rumkommen, zuviel Hintergrundgespräche rechnen sich nicht.

Wenn ich für einen Zeitungsartikel über eine (ich nenne jetzt mal den Klassiker des Lokalteils als pars pro toto) „Kaninchenausstellung“ genau so viel bekomme, wie über einen tiefen Blick in einen kommunalen Haushalt plus Nachfragen in der Kämmerei und bei der Kommunalaufsicht, dann ist doch klar was schneller geht. Vor allem wenn ich auch noch was für eine Kaninchenfotogalerie bekomme. Haushaltssseiten voller Zahlen sind leider weder fotogen noch niedlich.

Honorierungssysteme sind nämlich immer auch Wetten. Zahle ich als Verlag eine Pauschale (oder stelle die Redakteure fest an), hoffe ich, dass die mehr Zeilen abliefern, als wenn ich sie nach Zeilen bezahle. Bezahle ich nach Zeilen, setze ich Anreize, dass der freie Mitarbeiter ordentlich viel Text abliefert. Und als Pauschalist hoffe ich, dass ich mit weniger Arbeit rumkomme. Davor schützt nur, dass man Mitarbeiter hat mit Arbeitsethos und einem Verständnis, dass der Beruf Berufung ist.

Denn ein Blick in meine Arbeit sagt mir, dass eine „Rechnerei mit Bodenrichtwerten“ beim Stadiongelände des SV Darmstadt 98 oder ein Kurzüberblick über „Haushaltsgenehmigung und Kommunalaufsicht“ eigentlich in einem schlechten Aufwand/Ertrag-Verhältnis steht. Aber ich wollte nunmal nicht nur die Sportausschussitzung oder die Stadtparlamentssitzung eins zu eins wiedergeben. Etwas Mehrwert sollte auch für den dabei sein, der auch da war.