14. Juli 1914 – Doch ein Ultimatum, aber nicht gleich

Die Regierung von Österreich-Ungarn einigt sich darauf, Serbien ein Ultimatum zu stellen. Idee ist, Forderungen zu stellen, die Serbien als souveräner Staat nicht erfüllen kann oder will. Damit glaubt die Wiener Regierung einen Kriegsgrund zu bekommen. Möglich wurde das, weil der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza seine Meinung geändert hatte.

Außenminister Graf Leopold Berchtold trägt beim Kaiser vor: Es wird nun an die Redaktion der an Serbien zu richtenden Note geschritten, deren Überprüfung in einer gemeinsamen Besprechung erfolgen wird. Nach erzielter Übereinstimmung über die Form dieser Note wird dieselbe Samstag, den 23. in Belgrad überreicht und der serbischen Regierung gleichzeitig eine Frist von 48 Stunden gegeben werden, innerhalb welcher sie unsere Forderungen annehmen muß.

Das ist nicht das Tempo, dass sich die Deutschen wünschen, aber nun berücksichtigen die k.u.k.-Diplomaten die Russlandreise des französischen Präsidenten.

Vortrag Berchtold: Dieses Datum wurde mit Rücksicht auf den Besuch des Präsidenten der französischen Republik bei dem Zaren gewählt, der vom 20. bis 25. Juli dauern soll, da alle Anwesenden meine Auffassung teilten, daß die Absendung des Ultimatums während dieser Zusammenkunft in Petersburg als Affront angesehen werden würde, und daß eine persönlich Aussprache des ehrgeizigen Präsidenten der Republik mit Seiner Majestät dem Kaiser von Rußland über die durch die Absendung des Ultimatums geschaffene internationale Lage die Wahrscheinlichkeit eines kriegerischen Eingreifens Rußlands und Frankreichs erhöhen würde.

Auch wenn Könige herrschen, die öffentliche Meinung ist wichtig. Der deutsche Botschafter in London, Max von Lichnowsky, teilt Berlin mit, dass er die englische Presse nicht so beeinflussen kann, dass die Serben als die Bösen dastehen (den italienischen Botschafter fragt Außenstaatssekretär Gottlieb von Jagow übrigens, wieviel Bestechungsgelder dafür notwendig sind).

Ich habe bereits versucht, in diesem Sinne vertraulich und vorsichtig Fühlung zu nehmen, verspreche mir aber angesichts der bekannten Unabhängigkeit der hiesigen Presse derartigen Einwirkungen gegenüber nur wenig Erfolg.

Er teilt auch mit, dass die liberale britische Regierung in dem Attentat keinen Kriegsgrund sehen wird.

Es wird schwer halten, die gesamte serbische Nation als ein Volk von Bösewichten und Mördern zu brandmarken und ihm dadurch, wie der Lokalanzeiger bestrebt ist, die Sympathien des gesitteten Europas zu entziehen; noch schwerer aber die Serben, wie eine amtliche Persönlichkeit dem Wiener Vertreter des Daily Telegraph gegenüber tut, auf dieselbe Stufe zu stellen mit den Arabern in Ägypten und in Marokko oder mit den Indianern in Mexiko.

Es ist vielmehr anzunehmen, daß die hiesigen Sympathien sich dem Serbentum sofort und in lebhafter Form zuwenden werden, sobald Österreich zur Gewalt greift, und daß die Ermordung des hier schon wegen seiner klerikalen Neigungen wenig beliebten Thronfolgers nur als ein Vorwand gelten wird, den man benutzt, um den unbequemen Nachbarn zu schädigen.

Die britischen Sympathien, namentlich aber die der liberalen Partei, haben sich in Europa meist dem Nationalitätenprinzip zugewandt, (…) Sowohl während der Annexionskrisis als auch im vorigen Winter bei akuten Fragen neigte die hiesige öffentliche Meinung zur Parteinahme für Serbien und Montenegro,(…) So sehr man also auch eine unnachsichtige strafrechtliche Verfolgung der Mörder begreifen wird, so wenig, fürchte ich, wird die öffentliche Meinung dafür zu haben sein, daß man die Angelegenheit auf das politische Gebiet hinüberspielt und sie zum Ausgangspunkt militärischer Maßnahmen gegen ein Volk von Verbrechern macht.

Die Deutschen trauen ihrem Dreibundpartner Italien nicht. Von Jagow schreibt an seinen Botschafter in Wien:

So austrophob im allgemeinen die italienische öffentliche Meinung ist, so serbophil hat sie sich bisher immer gezeigt. Es ist auch für mich kein Zweifel, daß sie bei einem österreichisch-serbischen Konflikt sich prononciert auf Seiten Serbiens stellen wird.

Also wird das bewährte Spiel gespielt: Italien könnte ein Stück Land bekommen, damit es nicht gegen die Aktion gegen Serbien ist, weil es sonst Russland ermuntern könnte, doch Serbien beizustehen

Durch eine Partei-nahme Italiens für Serbien würde fraglos die russische Aktionslustwesentlich ermutigt. In Petersburg würde man damit rechnen, daß Italien nicht nur seinen Bundespflichten nicht nachkommt, sondern sich womöglich direkt gegen Österreich-Ungarn wendet. Italien hat nach seinen Abmachungen mit Österreich bei jeder Veränderung im Balkan zugunsten der Donaumonarchie ein Recht auf Kompensationen.

Der Botschafter in Rom soll mal beim k.u.k-Außenminister vorfühlen, wie es aussieht, wenn Italien das Trentino – nun, das ist ja nur Südtirol – bekommt.

Wie ich streng vertraulich bemerke, dürfte als einzige vollwertige Kompensation in Italien die Gewinnung des Trento erachtet werden. Dieser Bissen wäre allerdings so fett, daß damit auch der austrophoben öffentlichen Meinung der Mund gestopft werden könnte. (…) Ob bei diesem Gespräch die Frage des Trento erwähnt werden kann, muß ich Ihrer Beurteilung und Kenntnis der dortigen Dispositionen anheimstellen.

Dazu passend ein Nachtrag. welt.de: Wiens Serbien-Politik bietet Rom die Chance, ins Lager der Entente zu wechseln

Das mit dem Ultimatum an Serbien muss natürlich geheim bleiben, auch damit sich England und Frankreich nicht so schnell absprechen können, wenn das Ultimatum vorliegt. Nur wissen wir ja, dass schon am 11. Juli über Berlin und den deutschen Botschafter in Rom was durchgesickert ist.

Kaiser Wilhelm II. schreibt an seinen Kaiserkollegen Kaiser Franz Josef und versichert ihm Beistand. Unter Kaisers ist man dann per Du:

Die grauenerregende Freveltat von Sarajevo hat ein grelles Schlaglicht auf das unheilvolle Treiben wahnwitziger Fanatiker und die den staatlichen Bau bedrohende panslawistische Hetzarbeit geworfen. Ich muß davon absehen, zu der zwischen Deiner Regierung und Serbien schwebenden Frage Stellung zu nehmen. Ich erachte es aber nicht nur für eine moralische Pflicht aller Kulturstaaten, sondern als ein Gebot für ihre Selbsterhaltung, der Propaganda der Tat, die sich vornehmlich das feste Gefüge der Monarchien als Angriffsobjekt ausersieht, mit allen Machtmitteln entgegenzutreten. Ich verschließe mich auch nicht der ernsten Gefahr, die Deinen Ländern und in der Folgewirkung dem Dreibund aus der von russischen und serbischen Panslawisten betriebenen Agitation droht, und erkenne die Notwendigkeit, die südlichen Grenzen Deiner Staaten von diesem schweren Drucke zu befreien.

Der sozialdemokratischer „Vorwärts“ kritisiert die Rüstungsausgaben in Deutschland und Europa:

Zählt man alle militärischen Ausgaben zusammen, wie es sich gehört, so werden allein die sechs Großstaaten Europas Jahr für Jahr jetzt 10 Milliarden Mark für unfruchtbare Zwecke ausgegeben, und diese Lasten zeigen noch immer, das Bestreben, weiterzusteigen.

Und Italien hat 120.000 Reservisten einberufen:

Die Mobilmachung von mehr als hunderttausend Reservisten in Italien hat im europäischen Ausland für Besorgnis gesorgt. Auf Nachfrage erklärt Rom allerdings, die Mobilisierung finde „mit Rücksicht auf innere Verhältnisse“ statt.